Geschichtliches von und über Annaburg ?
Wer kennt Annaburg? Die meisten verwechseln uns und denken an Annaberg-Buchholz im Erzgebirge. Zur Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert war das aber anderst. Man kannte Lochau wie es damals noch hieß. – Auch Martin Luther kannte Lochau, denn er war des öfteren bei uns. Sein Kurfürst, der Beschützer der Reformation, Friedrich der Weise kannte Lochau (Annaburg) sehr gut, denn hier stand sein Lieblingsschloss in der er dann auch selig entschlief. Der spätere Kurfürst von Sachsen, August und seine Kurfürstin Anna kannten auch Annaburg. Sie, die Kurfürstin höchstpersönlich war die Namensgeberin unserer Stadt. Nach ihr sind wir benannt.
Selbst Rudolf Virchow, Mitbegründer der Berliner Charité kannte Annaburg, denn sein Assistent am Berliner pathologisch-anatomische Institut (der spätere Professor) Ernst Felix Immanuel Hoppe-Seyler wuchs bei uns in Annaburg auf. Er gilt übrigens als Begründer der Biochemie und Molekularbiologie. Karl Stangen der Begründer des ersten deutschen Reisebüros kannte auch Annaburg. Er hat ihr so einiges zu verdanken – seine Schulbildung zumindestens.
Aber heute – wer kennt das Annaburg von heute, welches bei Torgau liegt, aber nicht in Sachsen, sondern in Sachsen-Anhalt? Am ehesten kennt man den Annaburger Truppenübungsplatz aus NVA-Zeiten. Aber über das kleine unscheinbare Heidestädtchen Annaburg weiß kaum jemand etwas. Derweilen hat Annaburg geschichtlich gesehen so einiges zu bieten.
Zum Beispiel der Tiergarten. Als zugezogener Berliner musste ich sofort an den Berliner Tiergarten in Berlin-Mitte denken. Später bei meinen geschichtlichen Recherchen fand ich heraus, dass der Berliner Tiergarten als „Nachbau“ des Annaburger Tiergartens entstanden ist.
Von meiner Oma hatte ich ein Trinkgefäß aus Glas in Form eines Stiefels, hier in Annaburg musste ich erkennen, dass dieses Gefäß einen engen Bezug zu Ereignissen hatte, die sich hier in Annaburg am 19. Oktober 1533 sich zugetragen hatten.
Im Annaburger Stadtmuseum fand ich eine kleine undatierte Karte von Annaburg, wie sich später herausstellen sollte, gehörte sie zeitlich eingeordnet zu den Anfängen der Kartografie in Sachsen und stellt somit den ersten exakt eingemessenen Stadtplan eines gesamten Ortes in Sachsen und vielleicht in ganz Deutschland dar.
Im Gegensatz zu Annaberg war die sächsische Kurfürstin Anna die Namensgeberin unseres Ortes. Die Kurfürstin war eine der bemerkenswertesten Frau ihrer Zeit. Mit 15 Jahren wurde die dänische Prinzessin hier in Torgau mit August, dem Bruder des sächsischen Kurfürsten verheiratet. Mit 21 Jahren wurde sie an der Seite ihres Mannes Kurfürstin von Sachsen. 25.000 Briefe an ca. 690 Personen sind von ihr im sächsischen Staatsarchiv erhalten. Die landwirtschaftlichen Staatsgüter wurden durch sie persönlich geführt und dabei ihre Wirtschaftlichkeit erheblich gesteigert. Sie konnte mit Geld umgehen und war trotzdem modern und standesgemäß gekleidet. Sie ließ in ihrem Leben ihren Mann August so gut wie nie allein. Sie begleitete ihn auf all seinen Reisen. Trotzdem fand sie noch Zeit ihren persönlichen Interessen nachzugehen. Sie unterhielt z.B. das modernste Laboratorium ihrer Zeit hier in Annaburg.
Die Post machte um Annaburg keinen Bogen – nein, Annaburg war mit Beginn der sächsischen Postgeschichte auch einer der ersten Poststandort. Zurechtgestutzt wurden wir bei der preußischen Übernahme – da gab es erstmal nur noch eine Posthilfsstelle in Annaburg. Gleiches wiederfuhr uns natürlich auch nach dem Beitritt zur BRD – auch diesmal wurde unserer Postamt in ein Posthilfsstelle (Bachmann – Zweirad-Reparaturservice mit Postfunktion; jetzt bei „Dörte dies und das“ am Markt) umgewandelt.
Spielplätze gab es in der vorindustriellen Zeit in den Dörfern und Städten Deutschlands keine. Erst im Zeitalter der Industrialisierung, wo die deutschen Industriestädte aus den Nähten platzen und sich drastisch ausdehnten, da entstanden im Zusammenhang mit den Schräbergärten in Leipzig die Vorstufen der heutigen Spielplätze. Umso verwunderlicher war es für mich im Staatsarchiv in Dresden Pläne aus der Zeit von 1777 vorzufinden in denen bereits ein Spielplatz für Annaburg geplant wurde. In dieser Phase befinden wir uns 2016 wieder.
Annaburg erhielt erst 600 Jahren nach seiner Erstnennung das Stadtrecht, das Städtlein vor der Gründerzeit war recht übersichtlich – Markt, Mittel- und Hinterstraße, Torgauer- und Holzdorfer Straße, Mühlenende und Friedhofstraße. Straßennamen waren unnötig, für die Steuererhebung waren alle Grundstücke (125) durchnummeriert. Das war es auch schon. Komplizierter ist das mit den Friedhöfen, in der Zeit wo Städtlein Annaburg zum Flecken Annaburg wurde, wo wir von Sachsen an Preußen fielen, hatten wir fünf davon; den Kirchhof (Barockfriedhof am Markt), den Gottesacker (städtische Friedhof an der Friedensstraße), den Friedhof der Neuhäuser (Waldfriedhof), den Friedhof des MKI auf dem Pechberg und den Schinderacker (für die Gott- und Ehrlosen) in der Nähe des Waldfriedhofes. Zum Kriegsende 1945 gab es kurzzeitig einen Friedhof der sowjetischen Besatzer am Mark zwischen dem „Anker“ und dem Vorderschloss. Hier wurden Angehörige der sowjetischen Streitkräfte zeitweilig beerdigt. Sie wurden später mit Errichtung der sowjetischen Mahnmale in der Region umgebettet.
Bei meinen geschichtlichen Recherchen bin ich auch auf ein in Philadelphia 1839 verlegtes Buch gestoßen, einem Rapport über die verschiedenen Schulformen in Europa, vorgelegt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Darin enthalten Annaburg – das Annaburger Militär-Knaben-Erziehungsinstitut (MKI).
Im Zusammenhang mit dem Annaburger Militär-Knaben-Erziehungsinstitut tauchen auch Namen wie Friedrich Fröbel (Begründer der Kindergarten in Deutschland), der in Annaburg 1845 nach Spielidee für seine Kinderverwahranstalten suchte, oder auch Friedrich Ludwig Jahn dem Turnvater schlecht hin.
Ein Kriegsgefangener des 2. Weltkrieges möchte unbedingt noch einmal an den Ort seiner Internierung mit dem ihn mehr positive als negative Erinnerungen verbinden. Auch in der Zeit des 2. Weltkrieges spielt Annaburg eine völlig andere Rolle, zumindest bezogen auf das einzige indische Kriegsgefangenenlager in Deutschland. Aus diesen Kriegsgefangenen sollte eine indische Befreiungsarmee rekrutiert werden, weshalb sie auch hier relativ human behandelt wurden. Ihnen stand es sogar frei ob sie arbeiten wollten oder nicht. Etliche dieser Inder waren „Gefangene mit Familienanschluß“.
Eine der unrühmlichsten Ereignisse der Annaburger Geschichte fand im Rahmen der Zwangsumsiedlungen aus den heutigen polnischen und tschechischen Gebieten statt. So wurden nach dem Ende des II. WK die Gebäude der Unteroffiziersvorschule von Juli bis Oktober 1945 zum Auffanglager für Flüchtlinge aus dem Sudetenland und anderen Ostgebieten. Unter Einbeziehung des Schlosses, der Turnhalle und anderen Gebäuden betrug die Gesamtflüchtlingszahl ca. 2.000 Personen. Auch die vorhandenen Holzbaracken auf dem Kasernengelände wurden mit genutzt. Eine Willkommenskultur wurde von den Annaburgern dabei nicht an den Tag gelegt. Das Beispiel „Klucken“ steht für viele Umgesiedelte.
Seit der Zwangseingemeindungen hat sich Annaburg gewaltig ausgedehnt, es füllt den Raum an den Landesgrenzen zu Brandenburg und Sachsen zwischen der Schwarzen Elster im Norden und der Elbe im Süden aus (rund 250 km²). Bei den Hochwasserereignissen 2002 mussten wir an der „Südgrenze“ gegen das Elbwasser kämpfen und 2011 und 13 im „Norden“ gegen das Wasser der Schwarzen Elster. Seither wird viel über die Renaturierung der Flüsse, auch als Mittel gegen das Hochwasser diskutiert. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Entwicklung der Schwarzen Elster und die Entstehung der „Kulturlandschaft“ an ihrem Ufer im Unterlauf mal aufzuzeigen.
Im ernestinischen Sachsen war Prettin die drittreichste Stadt, davon zeugt z.B. die Prettiner Kalandsbruderschaft. Annaburg, damals noch Lochau genannt, war dagegen ein unbedeutendes Dorf und gehörte sogar zum Prettiner Kirchensprengel. Heute ist Prettin ein unfreiwilliger Stadtteil von Annaburg. Prettin kann auf eine umfangreiche Geschichte zurückblicken. Mit dieser Stadtgeschichte haben sich einige evangelische Pfarrer aus dem Bildungsbürgertum im vorigen Jahrhundert beschäftigt. Ihre Aufzeichnungen sollen uns dazu dienen, Interessantes aus der Geschichte von Prettin zu erfahren.
Bernd Hopke
Ortschronist
AnnaOffice©2021-09-12
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