Landwirtschaftsgeschichte

 – das Landgut von Peter Daniel Betke


Nach Übernahme des Herzogtum Sachsen durch Preußen 1815, wurden systematisch die alten sächsischen Verwaltungsstrukturen aufgelöst. Dabei fiel nicht nur das Amt Annaburg weg, sondern auch die sächsischen Staatslandgüter (Domänen) und Jagdgebiete wurden privatisiert.

Während die Annaburger Domäne komplett veräußert wurde, betraf das für das Waldgebiet der Annaburger Heide nur deren Randgebiete. Sie wurde weiterhin staatlich, durch eine umstrukturierte Forstverwaltung geführt. Dabei wurde der Annaburger Sitz des Oberforst- und Wildmeisters, dem die kurfürstlichen Waldungen in den Ämtern Annaburg, Schweinitz, Schlieben und Seyda unterstanden in eine Forstinspektion mit Sitz im Ort umgewandelt. Sie umfasste die Oberförstereien Annaburg, Tiergarten, Züllsdorf, Seyda, Glücksburg und Hohenbucko. Da in sächsischen Zeiten die Oberaufsicht über die Floßmeister und dem staatlich organisierten Flößen auch beim Oberforst- und Wildmeisters lagen, wurde diese Verantwortlichkeit einem neu gebildeten Floßamt in Annaburg übertragen.

Der letzte Amtsmann von Annaburg Carl Friedrich Bercht erwarb die ehemalige königliche Domäne 1831. Er hatte sie als Amtsmann vermutlich schon vorher in Pacht (seit dem Beginn des 18. Jahrhundert ist überliefert, dass die Staatsdomänen verpachtet wurden, so 1714 an den damaligen Amtmann von Annaburg, Ludwig Rudolph von Braun) und mittels seiner Amtsbefugnisse auch bewirtschaftet. Es ließ sich als Pächter und Amtsmann in Personalunion gut damit leben. Erzielte Überschüsse, die über der Pacht lagen, waren reiner Gewinn und als Amtsmann konnte er auf die Hand- und Spanndienste in seinem Amtsbezirk zurückgreifen. Trotzdem fehlte ihm als ehemaliger sächsischer Beamter, unternehmerisches Geschick mit der veränderten landwirtschaftlichen Produktionsweise, die nun nicht mehr auf Hand- und Spanndienste der Amtsunterstellten Bevölkerung zurückgreifen konnte, sondern nun mit Lohnarbeit die verschiedensten und zeitabhängigen landwirtschaftlichen Arbeiten sicherzustellen hatte.

In seiner permanenten Geldnot, veräußerte er nicht nur Teile von seinem Besitz, sondern ließ auch die an ihm mitverkaufte Tiergartenmauer im Zeitraum 1835 – 1839 zum Abbruch verkaufen. Noch heute kann man den Sandstein aus diesem Abbruch auf einzelnen Annaburger Grundstücken finden. Einige Häuser aus dieser Zeit sind auf ihnen gegründet worden.

Folgerichtig wird 1833 der Grundbesitz der ehemaligen Domäne nun auch in die Stadt Annaburg eingemeindet. Das stellte die erste größere territoriale Erweiterung der Annaburger Gemarkungsgrenzen dar. Die Landwirtschaftliche Nutzfläche erhöht sich damit von ehemals 370 ha auf rund 800 ha. Dabei wurden auch Grundstücke, die durch ehemalige sächsische Forstangehörige bewirtschaftet worden, eingemeindet. Auch der Schlossbezirk zählte jetzt zur Gemarkung, obwohl er weiterhin durch das Militär genutzt und verwaltet wurde.   

Amtsman Bercht wurde nicht gleich mit der Umstrukturierung der Verwaltung aus seinem Beamtenverhältnis entlassen, sondern unter seiner Leitung als „Ökonomie-Amtsmann“ wurde die Umwandlung der Hand- und Spanndienste in Rent(Geld)werte im ehemaligen Amt Annaburg durchgeführt. Bei der Annaburger Bevölkerung blieb sie unter der Bezeichnung Separation in Erinnerung.  

Dabei wurden auch alte Lese-, Weide- und Holzrechte umgewandelt und das Gemeindeland (Allmende) aufgeteilt.

Obwohl Amtmann Bercht an bevorzugter Stelle stand, hat er die Probleme bei der Bewirtschaftung seines Landgutes nicht bewältigen können. Die Viehseuche (Milzbrand) die schon seit 1827 bis 1839 die Herdenbestände der Annaburger Landwirte periodisch minimierte, sowie die 1842 ausgebrochene Tier(Lungen)seuche tat ihr übriges. Auch die 1857 in Annaburg ausgebrochene Mäuseplage schädigte sein landwirtschaftliches Unternehmen. Da half auch 1849 der Verkauf der ehemaligen Kornhäuser der Domäne am Markt an die Gemeinde Annaburg nicht mehr den finanziellen Niedergang und Ruin aufzuhalten. An Stelle der ehemaligen Kornhäuser entstand das zweite Annaburger Schulgebäude, welches später noch als Berufschule bis in die 90-iger Jahre genutzt wurde.

Die nach der Elbregulierung zunehmende landwirtschaftliche Nutzfläche in der Region, die natürlich auch zu einer Steigerung der hier produzierten landwirtschaftlichen Erzeugnisse führte, brachte auf der anderen Seite aber auch einen Preisverfall. So verdoppelte sich die Landwirtschaftliche Nutzfläche in der Annaburger Gemarkung durch die Aufteilung der Allmende (Hutungspläne), aber auch vor allem durch die nun beginnende Melioration (Heidewiesen und Ziegendickicht). Die Fläche, die landwirtschaftlich genutzt wurde, erweiterte sich von ca. 700 ha 1847 auf 1.400 ha lt. Messblatt von 1903.  

Zur Einführung einer moderneren landwirtschaftlichen Produktionsweise, z.B. durch die Nutzung der Dampfmaschine und des Kunstdüngers, war Herr Bercht nicht befähigt. Ob auch er schon 1850 vom Holz- auf Eisenpflug umstellte ist auch nicht überliefert. Jedenfalls heißt es in der Chronik nach jahrelanger Misswirtschaft wurde das Gut unter Zwangsverwaltung gestellt und versteigert.

Im Zuge dieser Zwangsversteigerung erwarb am 02.07.1862 Peter Daniel Betke (Geb.1839) die ehemalige Annaburger Domäne, das einstmalige Mustergut der sächsischen Kurfürstin Anna. Zur Zeit der Zwangsversteigerung umfasste das Landgut noch 1.200 Morgen (300 ha).

Ein Magdeburger Morgen entsprach zu dieser Zeit 2.553,22 m². Ab 1869 wurde dann der metrische Morgen von 2.500 m² eingeführt. Da sich unser Information nicht auf die primäre Quelle stützt, sondern auf eine Sekundärquelle von 1935, gehe ich davon aus, dass der Morgen mit einem viertel Hektar gerechnet werden kann.

Der recht junge Landwirt versuchte sich schon damals auf verschiedenen Gebieten der Landwirtschaft, d.h. er bewirtschaftete sein Gut durchaus komplex und führte zeitgemäße Modernisierungen durch. Außerdem Betrieb er eine ausgedehnte Schäferei- und Weidewirtschaft. In der Feldwirtschaft ging er recht schnell zu großflächigen Kartoffelanbau über. Dort hielt auch die Dampfmaschine Einzug. Dem ausgedehnten Kartoffelanbau folgte 1872 die Errichtung einer Spirituosenbrennerei. Auf Grund der billigen Baumwolle, die vor allem aus Amerika nach Europa kam, verlor der Wollpreis immer mehr an Wert, so dass die Schäferei  nicht mehr rentabel arbeitete. Aus diesem Grund wurden die Schafe abgeschafft.

Die Flächen die vormals der Schäferei- und Weidewirtschaft dienten, wurde nun forstmäßig genutzt. Es entstanden auf ihnen neue Waldgebiete. Landwirt Betke, dem Wald, Wild und der Jagd zugetan, vergrößerte seinen 10 ha Waldbestand auf 150 ha. Auf ihnen wurden entgegen der vorherrschenden forstlichen Bewirtschaftung mit Kiefernbeständen, Mischwald gezogen. Es wurde nicht nur gepflanzt, sondern es wurde mit Geschick besondere Bäume und Baumgruppen geschaffen. Folgerichtig gründete er 1881 die Baumschule im Bereich der heutigen Schulstraße mit dem Gärtnerhaus in der heutigen Jahnstraße. Diese Baumschule wurde in den Folgejahren auf fast 9 ha erweitert, der Weg der von dort direkt in den Tiergarten führte erhielt später die Straßenbezeichnung „Baumschulenweg“.

Während seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit erweiterte Herr Betke seinen Landbesitz auf 375 ha (1.500 Morgen). Er war in Annaburg zu seiner Zeit der größte Landbesitzer.

Im Oktober 1874 wurde der Baumbestand im Bruch gerodeten und in Ackerland umgewandelt. Auch das davor liegende Ziegendickicht konnte jetzt genutzt werden. Dadurch stieg die Annaburger Landwirtschaftliche Nutzfläche auf ca. 1.400 ha.

Der Landwirt Peter Daniel Betke war auch im öffentlichen Leben präsent und in verschiedenen Ämtern tätig, so war er jahrzehntelang Amtsvorsteher des damals größten Amtsbezirkes im Kreis Torgau.

Da alle seine Kinder andere Berufe ergriffen hatten, wurde der 78-jährige Amtmann Betke gezwungen 1917 seinen Besitz an die Siedlungsgesellschaft Sachsenland, Halle/Sa. zu verkaufen. Diese hat die zusammenhängenden Agraflächen zerstückelt und an Mittel-, Klein- und Kleinstbauern in Annaburg verkauf. So entstanden die von Otto Heintze 1937 beschriebenen 220 landwirtschaftlichen Kleinstbetriebe. Auch die umfangreichen Waldbestände wurden verkauft. Dabei wurden 100 Morgen zerstückelt, von den Käufern abgeholzt und als Ödland liegengelassen. Das betraf u.a. auch Teile des Tiergartens. Lediglich 500 Morgen zusammenhängendes Waldgebiet konnten durch einen Leipziger Großindustriellen erworben werden, der es auch weiterhin forstwirtschaftlich nutzte.     

Einiges Land wurde auch in Bauland umgewidmet, sodass der Annaburger Stadtteil „Neue Welt“ weiter wuchs, später dann auch die Siedlung und die Bebauung der Schul- und der Züllsdorfer Straße erfolgen konnten

Durch die Regulierung der Schwarzen Elster konnten weitere ehemalige Feuchtwiesen in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden. Auch die Meliorationsarbeiten des Reichsarbeitsdienstes führten zu weiterem Geländegewinn. So konnte die landwirtschaftliche Nutzfläche 1937 auf 1.664 ha in Annaburg steigen. Sie wurde zu dieser Zeit von 26 Erbhöfen (ehemals Hüfern), ein Bauerhof (in Erbhofgröße) und 13 landwirtschaftlichen Betrieben (ehemals Gärtnerstellen) mit mehr als 5 ha und von 220 Kleinstbetrieben bewirtschaftet wurde.

Bernd Hopke

 

Quelle

  • Otto Heintze; Annaburger Bauerntum, Ein Stück Heimatgeschichte (1935)
  • Gründler, E.: „Schloß Annaburg“ Festschrift zur einhundertfünfzig-jährigen Jubelfeier des Militär-Knaben-Instituts zu Annaburg, Verlag von Oscar Haebringer, Berlin 1888
  • Otto Heintze: „Annaburg das Städtlein an der Heide“ Geschichtlicher Rückblick, aus gebundene Beilagen der „Annaburger Zeitung“ um 1930
  • Otto Heintze „Geschichtlicher Rückblick „von 1938, Privatbesitz
  • Landesarchiv Sachsen-Anhalt (Wernigerode) D1; unter Landeshoheits- und Grenzangelegenheiten:  Beschreibung der Forst- und Erbwiesengrenzen in den Annaburger Amtswaldungen (1784-1785) (1592-1813);
  • Landesarchiv Sachsen-Anhalt (Wernigerode) D1; unter Angelegenheiten der Amtsgemeinden und deren Einwohner: Urbachung des Curtsberges an der Jessener Straße und Nutzung durch die Kommune Annaburg (1807-1816)
  • Landesarchiv Sachsen-Anhalt (Wernigerode) D1; unter Angelegenheiten der Amtsgemeinden und deren Einwohner: Gesuch einiger Einwohner von Annaburg zur Urbarmachung und Umzäunung ihrer hinter dem Tiergarten gelegenen Erbheidewiese… (1809-1814)
  • Landesarchiv Sachsen-Anhalt (Wernigerode) D1; unter Personalangelegenheiten: Einweisung des Kammerherrn George Christoph von Reizenstein in die durch den Tod von Arnims freigewordene Oberforst- und Wildmeisterstelle zu Annaburg und in den Ämtern Annaburg, Schlieben, Schweinitz, Seyda, Jüterbog und Dahme Enthält auch: Inventarverzeichnis der Oberforst- und Wildmeisterei zu Annaburg, 1799. (1799-1810);
  • Sächsisches Staatsarchiv, 12884 Karten und Risse, Nr. Schr 002, F 033b, Nr 011; Annaburger Heide – Hauptsituationsriss der Annaburger Heide, wie solche anno 1765 und 1766 nach Anweisung jedes Ortsforstbediensteten vermessen wurde;
  • Preußische Kartenaufnahme 1:25000, Uraufnahme, 4244 Annaburg 1847;
  • Topographische Karte TK 4244 Schweinitz  1904;
  • Sächsisches Staatsarchiv, 10025 Geheimes Konsilium, Nr. Rep. A 24a I, Nr. 1714 – 1718; Verpachtung des Vorwerks zu Annaburg an den Kommissionsrat und Amtmann Ludwig Rudolph von Braun;
    Bemerkung:
Die von Otto Heintze gemachten Angaben über die Größe von Betke's Besitz habe ich nachgeprüft. Der Tiergarten allein umfasste zwar schon 356 ha, aber hier gab es unterschiedliche Nutzer; Amt, Forst und Private im ehemaligen Gestütbereich. Wenn also davon die Flächen des MKI und die Flächen die der Forst zuzurechnen wären abgezogen werden, könnten hier zwar schon der Anfangsbestand von 300 ha gelegen haben. Gerudshof gehörte zu dieser Zeit den Reitzenstein!? Die Landwirtschaftliche Nutzfläche von Annaburg (um 1800 noch 370 ha) vergrößerte sich nicht nur durch die Domäne mit ca 400 ha, sondern es kamen die den Forstbeamten gehörenden Landwirtschaftlichen Flächen dazu, sogenannte Forstwiesen. Bei der Seperation kamen dann die Burgwiesen, die Heidewiesen dazu, sowie  die Nutzflächen zwischen Ziegendickicht und Neugraben, die so genannt Hutungspläne. Außerdem das Ziegendickicht und die Bruchwiesen durch Trockenlegung. Zur ehemaligen Forst rechneten auch die Flächen zwischen Mauergraben und Neugraben vorm Wald. Auch die Landwirtschaftliche Nutzfläche vom Zschernik gehörte dazu. Die Landwirtschaftliche Nutzfläche hat sich daher in 100 Jahren demnach vervierfacht! Mit der Domäne zusammen verdoppelt, auf 1664 ha im Jahr 1937.

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