Stangeneiche

Carl Stangen
ehemaliger Zögling des Militär-Knaben-Erziehungs-Institutes Annaburg,
Gründer des 1. Deutschen- Internationalen Reisebüros


In diesem Jahr 2008 würde der verdienstvolle Gründer des ersten deutschen Reisebüros, Carl Stangen, seinen 175. Geburtstag feiern.
Wir knüpfen daran die Betrachtung, ihm ein ehrendes Zeugnis seines Schaffens abzulegen. Natürlich wissen heute viele Menschen nicht mehr, wer Carl Stangen war und was seine Verdienste sind. Vor über 100 Jahren beschlossen seine alten Freunde und Schulkameraden sein bedeutsames Wirken nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Dies waren Rittmeister a. D. Menzel, Geheimrat Köhler, Theo Seiffert, Alexander Reuther, die Hauptleute Gohlke und Weiß und Oberstadtsekretär Geuder. Diese beschlossen eine Carl Stangen-Gedenkeiche im Schlossbereich Annaburg zu pflanzen. Der Kommandeur der Anstalt, Herr Oberst von Webern, hat einen Platz für den Baum zur Verfügung gestellt. Der damalige Aufruf fand offene Herzen und

„so Gott will, wird aus dem kleinen Eichenbaum ein großer, starker deutscher Baum, der seine Zweige hoch zur Sonne und zum Himmel recken wird“.

Aus diesem Wunsch der längst Verstorbenen ist eine stattliche Eiche mit einem Stammdurchmesser von ca. 50 cm geworden. Dieser Baum wurde 1908 anlässlich seines des 75-ten Geburtstag von Carl Stangen an der Stirnseite unserer jetzigen Sekundarschule in Richtung des Altenpflegeheimes l gepflanzt, wo sie heute und hoffentlich noch sehr lange steht.
Die Freunde von Carl Stangen haben Annaburg als Pflanzort gewählt, weil der Jubilar hier einst seine Ausbildung in dem Militär-Knaben-Erziehungs-Institutes erhalten hat; auch weil viele Söhne alter Soldaten, die hier in der ehemaligen Anstalt erzogen wurden, an diesen Mann erinnert werden sollten.

Mögen die Menschen aus dem Leben Stangens lernen, dass der Mensch durch energischen Willen und eisernen Fleiß vieles erreichen kann.

Sein alter Lehrer Siegel soll einmal gesagt haben:

Was der Mensch will und immer will, das gelingt ihm auch!
Möge die Eiche bis in ferne, ferne Zeiten kraftstrotzend grünen und gedeihen.
Möge kein Blitzstrahl sie fällen, kein Wurm sie zernagen und kein Undank sie vergessen!
Das walte Gott!

Soweit die Freunde von Carl Stangen bei der Pflanzung dieses Baumes im Jahre 1908.

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Biographie von Carl Stangen (05.05.1833-21.11.1911)
Am 5. Mai des Jahres 1833 wurde im Hause des Leutnants Ernst Friedrich Stangen ein Sohn geboren. Er erhielt den Namen Carl.
Waffendienst war Tradition in der Stangenschen Familie. Die Ahnen der Familie waren adelig, die Archive der Gutsverwaltung zu Zessel bei Öls bekunden, dass David v. Stangen am 23. Februar 1651 die Brauereirechte in Zessel erhielt und seine Witwe das genannte Gut im Jahre 1657 verkaufte und auf das ihr ebenfalls gehörige Gut Kunitz bei Liegnitz zog, wo später auch ihre Nachkommen lebten. Der Großvater wurde 1733 in Zessel geboren. Dieser, der auch Carl hieß, trat 1750 in Preußische Dienste. Während des 7 jährigen Krieges focht er im Zietenschen Husarenregiment. Er starb im Krieg bei Chälons in Frankreich.
Auch seine drei Söhne dienten im gleichen Regiment. Während zwei von ihnen im Krieg den Tod fanden, war es dem dritten Sohne Ernst Friedrich Stangen, geb. 1776, vergönnt, der Stammvater einer großen Familie zu werden. Auch er musste als Soldat an vielen Schlachten teilnehmen, allein er hatte Glück und überlebte. Er verheiratete sich 1810, verlor aber durch den Tod die erste und auch die zweite Frau. 1825 heiratete er zum dritten Mal. Seine dritte Frau war die Witwe Schwabe geborene v. Olschewsky. Dann wurde er als Leutnant nach Ziegenhals versetzt; hier wurde er der Vater von Carl Stangen.
Der Vater stand bereits im 65. Lebensjahr und es war zur damaligen Zeit üblich, dass er die Erziehung seines jüngsten Sohnes andern Händen anvertrauen musste.
In Annaburg im ehemaligen Kursachsen, unweit von Wittenberg, steht inmitten herrlicher, grüner Wälder ein gleichnamiges Schloss, das bestimmt war, den Söhnen von altgedienten oder gefallenen Soldaten das „Mutterhaus“ zu ersetzen und zu tüchtigen und willigen Nachwuchs für das Militär zu erziehen.
Sein Vater bat um Aufnahme seines Sohnes und erhielt seinerzeit die begehrte Zusage, so dass 1843 der damals 10jährige kleine Carl nach Annaburg „einberufen“ wurde. Annaburg war also damals das Ziel seiner ersten Reise.
Ziel seiner Ausbildung war es, Berufssoldat zu werden. Das Militär-Knaben-Erziehungs-Institut zu Schloss Annaburg hatte zur damaligen Zeit schon einen ausgezeichneten Ruf und man konnte bei dem damaligen Bildungsstand der Bevölkerung und den Schulverhältnissen die Annaburger Schule als eine Eliteschule für militärisches Fachpersonal bezeichnen. Für Carl Stangen war es bestimmt, Soldat zu werden und bis zur Einberufung in die Armee Militärschüler zu sein.
Aber es kam anders; wegen hervorgetretener Krampfaderknoten am linken Bein wurde er vom Institutsarzt Dr. Langguth für militärisch untauglich erklärt. Der Direktor des Instituts Oberstleutnant v. Brauchitsch teilte dem Vater Stangen, seinem alten Kriegskameraden, den ärztlichen Bescheid mit. So wurde der Knabe 1848 zu Michaelis entlassen.
Nun erlernte er den Beruf eines Buchbinders. Danach ging er auf Wanderschaft. Nach dieser Zeit trat er als Volontär in ein Landratsamt in seiner Heimat ein, um die allgemeine Verwaltungslaufbahn einzuschlagen.
Er ging dann zur Postverwaltung und wurde nach bestandener Prüfung 1855 als Postexpeditionsgehilfe eingestellt. Nach erfolgreicher Tätigkeit heiratete er Auguste Friese, eine Beamtentochter. Bei der Post in Tannhausen bei Waldenburg hatte er einen steilen Aufstieg und nahm in kürzester Zeit leitende Stellungen ein.
Carl war hier auch literarisch tätig, veröffentlichte Novellen und andere zeitgenössische Dichtungen. Er wurde daraufhin am 19.12.1866 für seine umfassende Tätigkeit vom Minister für Handel und Gewerbe der Oberpostdirektion Breslau ausgezeichnet.
Auf Wunsch seines Bruders Luis trat er in die von seinem Bruder gegründete Firma zur Durchführung von Sonder- und Gesellschaftsreisen ein und wurde sein Partner und Teilhaber. Im November des gleichen Jahres 1868 stellte sich Carl Stangen auf eigene Füße. Er gründete das „Carl Stangens Reisebüro“, dessen Inhaber er 56 Jahre geblieben ist. Das junge Unternehmen entwickelte sich kontinuierlich weiter.
Was bot nun sein Büro den Reisenden:
Völlig unbeschwerliche Reisen für Eisenbahn, Schiff und Wagen in der komfortabelsten Weise, Hotels und Verpflegung ersten Ranges, Besuch und sachgemäße Führung durch alle Sehenswürdigkeiten der zu bereisenden Strecke. Dies alles war im Reisepreis enthalten; der Reisende brauchte sich um nichts kümmern, was damals ja überhaupt nicht üblich war. Das war der Verdienst von Carl Stangen, dass er dieses organisatorische Talent besaß, welches ihm bei seinem Publikum bzw. seinen Reisen so beliebt machte. Wie ausgezeichnet das Stangensche Reisebüro organisiert war, erhellt die Tatsache, dass seine Reisen in ferne Länder und speziell seine Reise um die Erde ohne Schwierigkeiten verliefen.
Während dieser Zeit liefen die anderen geplanten Reisen durch seine Angestellten ebenfalls reibungslos.
In den Jahren seiner Tätigkeit wuchsen zwei Vertreter der jungen Garde heran, seine beiden Söhne Ernst und Luis. Trotz seiner arg bemessenen Zeit fuhr er öfter mit ihnen nach Annaburg, um ihnen dort an der Wiege seiner Erziehung und Bildung zu zeigen, wie hart seine Jugend hier war.
Als der erste Sohn Ernst Stangen das Alter von 17 Jahren erreicht hatte, wurde er in das Geschäft eingestellt, und trat voll in die Fußstapfen des Vaters. 1884 folgte sein fünf Jahre jüngerer Bruder Luis. Auch er wurde ein tüchtiger Mitarbeiter seines Unternehmens. Nun konnte der Vater des Öfteren sein Unternehmen vom Büro aus leiten. Das Unternehmen von Carl Stangen hatte zu dieser Zeit schon einen guten Ruf, national wie auch international erworben.
Carl Stangen schwebte seit langem der Plan vor, in Deutschland eine selbstständige Einrichtung für die Zusammenstellung und den Verkauf von Eisenbahn - und Dampfschiff - Fahrscheinen im internationalen Verkehr zu errichten. Es glückte ihm, diesen Plan zu realisieren. Vom Jahre 1888 an wurden von seinem Büro aus mit allen bedeutenden Verkehrsanstalten der Welt wie Eisenbahn-, Post-, Dampfschifffahrtsgesellschaften, Bergbahnen sowie mit Hotels, Logierhäusern usw. Verträge abgeschlossen, auf Grund dessen Fahrkarten, Fahrscheinhefte, Hotels- und Ausschiffungscoupons im internationalen Verkehr ausgegeben werden konnten. Das neue System erfreute sich bald größter Beliebtheit bei den Reisenden in Deutschland. Sein Unternehmen wurde so zu einem zentralen Punkt.
Der Unternehmer war unermüdlich tätig. Von 1867 -1887 war er etwa 3250 Tage unterwegs. Auch die Zeitschrift „Tourist“ gründete er und 10 Jahre später kam die Schrift „Carl Stangens Verkehrszeitung“ heraus, die große Verbreitung fand.
Im Jahre 1892 konnte er das 25 jährige Geschäftsjubiläum begehen. In ehrenden Worten übermittelten die königlichen Behörden, die Presse und viele Andere dem Jubilar herzlichste Glückwünsche.
Bei einem Festempfang konnte er ebenfalls zwei ehemalige Annaburger begrüßen; den Rechnungsrat Hofmeister und den Buchdruckereibesitzer Bergmann, die ihm ein Diplom mit der Ernennung zum Ehrenmitglied des Verbandes der Annaburger Vereine überbrachten.
Im Jahre 1893 wurde das Büro von Stangen von der Direktion der Weltausstellung in Chicago zur „Offizial Tourist Office“ für das Deutsche Reich ernannt, und in demselben Jahr konnte er inmitten einer aus 60 Teilnehmern bestehenden von ihm zusammengebrachten Reisegesellschaft nach Nordamerika seinen 60. Geburtstag feiern.
Ein anderes sehr bedeutsames Ereignis wurde nach einer Orientreise festgehalten. Hier heißt es:
Aus Anlass der Einweihung der Erlöserkirche in Jerusalem sagte Dr. G. Manz am 31. Oktober l898: Wie Bedauern wir, an diesem Tage keinen Tropfen edlen Rheinwein auf unserer Tafel zu sehen ist! Hoch schwoll die Begeisterung unserer „Bohemia„ Gesellschaft, als wir erfuhren, dass an diesem denkwürdigen Tage auch unserem Herrn Carl Stangen eine Ordens-Auszeichnung des Kaisers mit dem „Roter Adlerorden 4. Klasse„ zu teil geworden ist. Sie galt dem unermüdlichen Wirken des deutschen Pioniers zwischen Deutschland und dem Orient.
Sehr in Anspruch genommen wurde das rührige Reisebüro auch, als im Jahre 1900 in Paris die Weltausstellung stattfand. Das Stangensche Reisebüro bot für 300 Mark den Wissensdurstigen und Vergnügungslustigen, deren Geldbeutel nicht so viel vertragen konnte diese Reise an. Alles was es überhaupt geben konnte, selbst Wein war mit in dem Preis einbegriffen. Diejenigen, die mit Glücksgütern besser ausgestattet waren und ihre Ansprüche an Hotel und Verpflegung etwas höher stellten, zahlten 400 Mark. Was Wunder, das über 8.000 Personen aus den begüterten Schichten der Bevölkerung von diesem Angebot Gebrauch machten.
Die deutsche Reichsregierung erkannte die Verdienste des berühmten Reisebüros an und ließ dies durch den Reichskommissar zum Ausdruck bringen.
Die Büroräume in Berlin in der Mohrenstrasse wurden langsam zu eng, deshalb erwarb man ein Grundstück in der verkehrsreichen Friedrichstrasse. Auf diesem wurde ein Neubau errichtet, ein Haus das schon architektonisch zu den Sehenswürdigkeiten der Reichshauptstadt gehörte. Es wurde im Volksmund das „arabische Haus“ genannt. Im Jahre 1900 lagen Fahrscheinhefte in 18.500 verschiedene Billetsorten beim Stangenschen Büro zum Verkauf aus. Der Umsatz der Firma lag im Jahre 1900, bei 3.199.514 Mark. Bis Ende des Jahres 1902 wurden allein ins Ausland 900 Gesellschaftsreisen mit ca. 20.000 Personen durchgeführt.
Wie geschätzt und wie beliebt das Wirken unseres „Reisemarschalls“ war, zeigte sich anlässlich seines 70.Geburtstages. Dort bildete sich ein Festkomitee, welches ein festliches „Stangenbankett“ im Kaiserhof in Berlin organisierte und durchführte. Es waren ca. 200 Personen aus den begüterten Schichten der Bevölkerung anwesend. Es würde den Rahmen dieser Biographie übersteigen, sollten all die Festlichkeiten und Ehrungen angeführt werden, die dem verehrten Mann dargebracht wurden. Es sei nur noch erwähnt, dass ihm vom Kaiser der Königliche Kronenorden 3. Klasse verliehen wurde.
Eine besonders sinnige Aufmerksamkeit hatte sich das Militär-Knaben-Erziehungs-Institut vorbehalten. Auf Anregung des Kommandeurs, Oberst v. Webern, hatte sich das gesamte Institut vom ältesten Offizier bis zum jüngsten Soldatenbuben vereinigt, um ein Album mit allen Schlossansichten und den Fotografien aller Schlossbewohner Carl Stangen zu schenken. Dieses Geschenk hat den Jubilar besonders gefreut. Es wurde ihm im Auftrag des Institutes bei einer besonderen Festlichkeit der Vereinigung der Annaburger „Treu den Alten“ überreicht. Auch die verschiedenen Vereinigungen ehemaliger Annaburger, die über das gesamte Reich verbreitet sind, sandten ihre Glückwünsche.
Gerade zu dieser Zeit trat der Generaldirektor Ballin der Hamburg-Amerika-Linie mit der Idee an die Öffentlichkeit in Berlin, ein „Weltverkehrsbüro“ zu gründen, das dem Touristenverkehr zu Wasser und auf dem Lande dienen sollte. Diese kapitalkräftige Gesellschaft erwarb zu diesem Zweck in Berlin unter den Linden Nr. 8 ein Grundstück und trat mit Stangen wegen Verschmelzung seines Unternehmens mit der Hamburg-Amerika-Linie in Verbindung, um nicht gegen so eine gewaltige Konkurrenz in Deutschland kämpfen zu müssen. Es kam am Schluss des Jahres 1904 ein Vertrag zustande, durch welches das alte, populäre „Carl Stangensche Reisebüro“ mit allen seinen Einrichtungen und mit seinem gesamten geschulten Personal unter Direktion der beiden Söhne Carl Stangens an die Hamburg- Amerika- Linie überging und unter den Firmennamen „Reisebüro der Hamburg- Amerika- Linie“ von Januar 1905 ab weitergeführt wurde.
Unser Carl Stangen, der bis dahin das Unternehmen selbstständig und erfolgreich geführt hatte, trat nun im Alter von 72 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand, da er nun sein Unternehmen mit seinen Söhnen an der Spitze in guten Händen sah.
So haben es alle Freunde und Gönner mit Freude begrüßt, dass dem emsigen Pensionär und Pionier des deutschen Touristenverkehrs ein ruhiger und sorgenfreier Lebensabend beschieden worden ist.
Ihm wurde, nachdem er in den Ruhestand getreten ist, vom Verband der Annaburger Vereine angeboten, das höchste Ehrenamt, also die Leitung des Verbandes zu übernehmen. Er folgte dem Ansinnen des Vereins und sagte zu.
An seinem Lebensabend freute er sich, im Kreise seiner Familie, mit Frau, seinen fünf Kindern und 15 Enkelkindern das 75. Lebensjahr zu verbringen. Er starb am 21.11.1911 im Alter von 78 Jahren in Berlin.

Dies ist eine Kurzbiographie vom Weltreisenden Carl Stangen, der in unserem Militär-Knaben- Erziehungs- Institut in Annaburg das Rüstzeug für sein späteres Leben erhalten hat. Dieses Institut bestand in Annaburg von 1762 bis zum Jahre 1921, also 159 Jahre. In dieser Zeit wurden ca. 63.000 Zöglinge, im Volksmund Kadetten genannt, im Institut zu tüchtigen Menschen erzogen. Es wurde auf der Grundlage des Versailler Vertrages geschlossen. Alle Bemühungen, diese Einrichtung in ein Waisenhaus umzuwandeln, wurden von den Siegermächten des l. Weltkrieges abgelehnt. Das Vorder- und Hinterschloss wurde nach 1921 zu Wohnungen ausgebaut. In dem historischen Gemäuer sind heute noch rund 76 Wohnungen (Stand 2008) vorhanden.

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Edwin Kretzschmann († 2012)