Gerechtigkeit 1651

Amtsrichter Kühn aus Annaburg (Anno 1651)


ps_20161021194246Jung war er ins Amt gekommen, der Richter Kühn. Erst einundzwanzig und schon fest angestellt. Das wollte schon etwas heißen. Aber Freunde hatte er im 17. Jahrhundert nicht in Annaburg.

Das kam, weil er ein jähzorniger und aufbrausender Mann war, dem niemand etwas entgegnen durfte. Vielleicht hätte er es mit seinen Fähigkeiten noch recht weit gebracht, wenn er sich gezwungen hätte, stiller zu werden. Aber das wollte er wohl gar nicht. Und so musste er auch mit dem Tode büßen, was er in seiner Wut angestellt hätte. Es ist eine grausige Geschichte. Aber sie ist’s wert, aufbewahrt zu sein für die Nachkommen.

Mai war es geworden. Da kam der Schmiedsknecht Martin Lorentz von Schweinitz nach Annaburg, für seinen Meister Ofenkohle zu holen. Natürlich machte er es sich erst einmal im „Hirschen“ gemütlich, trank sein Konfent (dünnes Bier) und plauderte ein bisschen mit diesem und jenem. Da wurde die breite Tür aufgestoßen und herein kam der Amtsrichter Kühn – geritten. Wahr und wahrhaftig, hoch zu Ross war er in der Gaststube und wollte etwas zu trinken haben.

Der Schmiedsknecht macht den hohen Herrn höflichst aufmerksam auf sein ungutes Verhalten. Was geschieht? Der Richter wird grob und bietet Schläge an. Da springt der Knecht auf und stößt nach dem Reiter. Und schon ist das Handgemenge fertig.

Kühn zieht den Degen und sticht nach dem Schweinitzer. Dann jagt er hinaus. Lorentz ihm nach! Vor der Tür wartet der Richter. Zornig und wutentbrannt zieht er von neuem den Degen und bohrt ihn dem Martin Lorentz in den Leib, dass der Brave entseelt zu Boden stürzt. Der Landsknecht ist zufällig zur Stelle. Er fasst den fliehenden Richter am Torbogen, achtet nicht auf seine Gegenwehr und schleppt ihn mit sich aufs Schloss, wo der Richter in sicherem Gewahr verbleibt. Zum Schöppenstuhl gen Leipzig wird geschrieben, was zu tun sei mit dem Verhafteten. Das Antwortschreiben dauert seine Zeit. Endlich, am 18. August, trifft es ein! Kurz ist die Antwort. „Wer solch tolle Sachen treibet, den soll strenge Strafe treffen! Gnade soll nicht vor Recht ergehen! Und wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll wieder vergossen werden!“

Das hatte der Amtsrichter nicht erwartet. Jetzt hockte er wehklagend in der Zelle und verfluchte sich selbst und sein herbes Geschick. Noch in derselben Nacht bekam der Landsknecht Thomas Schwager den Auftrag, ihn zu holen zur Justifizierung.

Ein schweres Amt. Dunkelheit ringsum. Kühn meldet sich nicht in der Finsternis seines Gewahrsames auf den Anruf des Mannes. Er knurrt nur einmal hier, einmal da. Dem Landsknecht wird es unheimlich. Dennoch dringt er ins Gemach und schlägt mit dem Degen um sich, trifft den Richter und haut ihm zwei Finger ab. Ein lauter Schrei durchdringt den Raum. Jetzt wagt sich der Landesknecht näher herzu. Kühn ist ohnmächtig zusammengebrochen. Als er wieder zu sich kommt, ist schon alles geschehen mit ihm.

An Händen und Füßen gefesselt hatten sie ihn hinausgeschleppt und als die Morgendämmerung des 19. August vom Jahre 1651 heraufzog, da lag er schon draußen auf der Gerichtsstätte bei Wagners Gut. Hier standen die Neugierigen und wollten Zeuge sein, wie ein Hochgelehrter Herr abgefertigt wurde vom Nachrichter. Viel Reue zeigte er jetzt, sang sogar ein Bußlied und kniete auch freiwillig nieder. Dann nahm Meister Hämmerlein sein Schwert zur Hand. Schnell ging das alles vor sich. Kühn hatte seine Strafe erhalten.

henlerZwei Stunden nach der Justifizierung trugen sie ihn zum Gottesacker und betteten ihn ins Grab. Mit christlichen Zeremonien wurde er sogar beerdigt, weil er seine schweren Sünden noch bekannt hatte. Es läutete aber nur eine Glocke, zum Zeichen dessen, dass ein Gesetzesverächter sein Leben gelassen hatte.

Im Winkel des Friedhofs konnte man noch lange den schmucklosen Hügel sehen, der die letzten Reste dieses Mannes barg, der sich nicht zügeln konnte.

Es ist dies wohl eine der traurigsten Begebenheiten aus dem Annaburger Kirchbuch. Vielleicht lernt manch einer daran, ein wenig stiller zu werden und nicht gleich aufzubegehren, wenn es einmal anders kommt, als es der eigene Wunsch wollte.

 

Edwin Kretzschmann

 

 

 

Quellen- und Literaturhinweise:

  • Edwin Kretzschmann, Mitteldeutsche Zeitung vom 03.08.2006