Annaburger Mühlen

Mühle Förster in Annaburg

Die dritte Mühle in Annaburg war eine Bockwindmühle in der Jessener Straße 1. Der Müller Johann Karl Wilhelm Kühne war bei der Firma Miething in der Stadtmühle, der früheren Amtsmühle, beschäftigt. Er wollte sich selbstständig machen und baute, nachdem er Grund und Boden erworben hatte, ein Wohnhaus und ein Stallgebäude.

Am 2. November 1852 stellte der Müllermeister Günther Kerst den Antrag zum Bau einer Bockwindmühle in Grochwitz. Doch nach kurzer Zeit wollte er sich verändern und offerierte im Schweinitzer Kreisblatt, in dem er seine Bockwindmühle zum Verkauf anbot. Herr Kühne kaufte dann 1862 die Windmühle, ließ sie in Grochwitz abbrechen und in Annaburg am o.g. Ort wieder aufbauen. Sein Sohn Karl Wilhelm Kühne jun. wurde am 3. September 1839 geboren und übernahm von seinem Vater das Windmühlengrundstück nach seiner Heirat im Jahre 1868. Doch nach einigen Jahren verstarb am 6. Oktober 1897 mit 49 Jahren die Ehefrau von Meister Kühne. Er verkaufte 1898 seine Mühle an den Müllermeister Wilhelm Theodor Otto Müller. Für Meister Müller war der Umsatz in seiner Mühle zu wenig und so baute er 1899 im Keller des Wohnhauses einen Backofen. Der Backofen war ein altdeutscher Ofen, der hauptsächlich mit Holz beheizt wurde. Da Meister Müller den Bäckerberuf nicht erlernt hatte, produzierte er nur Bauernbrot, wie es auf den Dörfern üblich war. Wirtschaftlich muss Herr Müller aber nicht zurechtgekommen sein, denn er hat das Grundstück im Jahre 1900 zum Verkauf angeboten.
Mein Großvater Franz Förster arbeitete zu dieser Zeit in Dommitzsch in der Mühle Schlobach. Er wollte sich gern selbstständig machen und hat sich mehrere Mühlen angesehen. Das Annaburger Grundstück hat ihm dann am besten gefallen und er hat es am 1. Oktober 1900 von Meister Müller gekauft. Franz Förster zog mit seiner Familie und seiner Schwiegermutter von Dommitzsch nach Annaburg und die selbstständige Arbeit konnte beginnen. Mein Großvater war ja auch nur Müllermeister und hatte das Bäckerhandwerk nicht erlernt, deshalb konnte er auch nur Bauernbrot backen. Da unsere Mühle wegen der Windlage außerhalb von Annaburg stand, war es für die Bäckerei eine schlechte Verkaufslage. In Annaburg hatten sich schon wegen des Militär-Knaben-Erziehungsinstitutes viele Bäckereien angesiedelt und auch die Bauern und viele kleine Leute haben selbst ihr Brot gebacken. Da gab es nur die Möglichkeit das Brot zu den Kunden zu fahren. Der Schimmel und der Brotwagen waren bis 1914 das Markenzeichen für die Mühle und Bäckerei von Franz Förster.
Die Windmühle war ganz einfach ausgestattet und nun begann mein Großvater neue Technik nach und nach einzubauen. Die Getreidereinigung wurde verbessert, für die Vermahlung wurde ein Walzenstuhl eingebaut, Elevatoren und Transportschnecken sorgten für die automatische Beschickung der Maschinen. Nun reichte aber die Windkraft nicht mehr aus und in den Stillstandszeiten, in denen kein Wind vorhanden war, konnte nicht gearbeitet werden. Da entschloss sich mein Großvater einen neuen, unabhängigen Antrieb zu schaffen. Er ließ ein Motorenhaus mit einem Kohlenschuppen bauen und kaufte im Jahre 1914 einen Sauggasmotor. Die Sauggasmotorenanlage bestand aus dem Generator, in dem das Gasgemisch erzeugt wurde, dem Verdampfer zur Erzeugung der geringen Menge Wasserdampf, der dem Gas zugemischt war, dem Reiniger, in dem das Gas gekühlt und von teerhaltigen Bestandteilen gereinigt wurde, einem Gassammeltopf als Reservebehälter und dem Motor.
Die Sauggasanlage funktioniert folgendermaßen: Durch die glühende Kohleschicht von Anthrazit im Generator wird Wasserdampf und Luft gesaugt. Dadurch entsteht ein brennbares Mischgas, das in der Hauptsache aus Kohlenoxyd und Wasserstoff besteht. Der Motor saugt dieses Gas durch den Gassammeltopf und den Reiniger selbsttätig an und arbeitet damit wie ein Dieselmotor. Durch Wellen und Zahnräder wurde die Antriebskraft des Motors auf die Windmühle übertragen.
Mein Vater Franz Förster jun. hat 1928 die Mühle und Bäckerei von seinem Vater übernommen. Im Jahre 1930 baute er zwischen der Windmühle und dem vorhandenen Motorenhaus eine neue, massiv gemauerte Mühle auf und ließ die Windmühle abbrechen. Der Antrieb in der neuen Mühle war jetzt nur der Sauggasmotor. Im Jahre 1939 wurde im Mühlenkeller ein 15 PS starker Elektromotor eingebaut und die Sauggasanlage stillgelegt. Leider war die Konkurrenz in Annaburg sehr groß, es waren in diesem kleinen Ort elf Bäckereien und vier Mühlen vorhanden. So mussten jeder Bäckermeister und jede Mühle versuchen noch durch Nebenerwerb das Geschäft zu erhalten. Mein Vater kaufte Ackerland und Wiese und baute 1933 eine größere Stallanlage. In der Mühle wurde das Mehl für die Bäckerei gemahlen. Für die anfallende Kleie als Nebenprodukt war nicht genügend Absatz vorhanden. So wurde eine Schweinezucht aufgebaut, da die Mastschweine sich immer gut verkaufen ließen. Bis Juli 1945 durften wir für unsere Bäckerei das Mehl in unserer Mühle mahlen. Ab 1. August 1945 musste die Handelsmüllerei eingestellt werden und wir bekamen das Mehl von der Stadtmühle und von der Bahnmühle aus Annaburg geliefert. Wir durften nur noch für die Bauern und die Bevölkerung Umtauschmüllerei betreiben. Durch die Gründung der LPG kam auch die Kundenmüllerei zum Erliegen.
Am 1. Februar 1959 wurde die neu erbaute Backstube mit dem neuen Backofen in der Mühlenstraße 10 in Betrieb genommen. Mit dem Verkauf der Mühle und Bäckerei am 1. Oktober 1965 an die Polstermöbel Produktionsgenossenschaft des Handwerks (PGH) endeten auch die Arbeiten in der Jessener Strasse.

Mühle Proschwitz in Annaburg

Fuhr man früher von Annaburg nach Jessen, sah man schon von weitem die Windmühle Proschwitz stehen. Die Windlage war sehr gut, aber das Grundstück mit Wohnhaus, Stall, Scheune und Windmühle war ca. 2 km von der Stadtgrenze Annaburgs entfernt. Für die dazugehörige Landwirtschaft war es natürlich günstig, denn die Felder befanden sich zum größten Teil rings um das Mühlengrundstück.

Im Jahre 1879 verkaufte der Müllermeister Gottfried Oehmichen sein Mühlengrundstück mit sämtlichen Ländereien und lebendem und totem Inventar an Frau Friederike Voigt, geborene Lorang, die Ehefrau des Müllermeisters Wilhelm Voigt. Außer der Zahlung der Kaufsumme hatte die Käuferin sich verpflichtet, dem Verkäufer einen lebenslänglichen Auszug zu gewähren. Für den Fall, dass die Ehefrau ihren Ehemann überlebt, sollte der Auszug bis zu ihrem Tode gezahlt werden. So waren nun die Eheleute Wilhelm und Friedericke Voigt mit ihrer Tochter Martha nach Annaburg gekommen. Als die Tochter Martha den Müllermeister Otto Robert Schmidt aus Hohndorf kennen lernte und er sie heiraten wollte, wurde ein Kaufvertrag zwischen der Besitzerin Friedericke Voigt und Otto Robert Schmidt abgeschlossen. In diesem Kaufvertrag verpflichtete sich der zukünftige Schwiegersohn, an seine zukünftigen Schwiegereltern eine bestimmte Summe zu zahlen und die Altersversorgung in Form eines Auszuges bis an ihr Lebensende zu übernehmen. Auch die Ehefrau des vorherigen Besitzers Oehmichen lebte noch und auch diesen Auszug musste er mit übernehmen.

Doch durch einen Unfall verstarb am 8. Dezember 1902 der Müllermeister Otto Robert Schmidt bereits im Alter von 37 Jahren. So stand die Witwe Martha Schmidt mit ihren Kindern, der Mühle und der Landwirtschaft allein da. Sie lernte später dann den Müllermeister Hermann Proschwitz aus Kähnitzsch kennen und sie heirateten am 28. Januar 1904. In dieser Ehe wurde am 26. November 1905 der Sohn Hermann Wilhelm Proschwitz geboren. Am 20. Juli 1906 starb durch einen Unfall auch der alte Müllermeister und Auszügler Friedrich Wilhelm Voigt. Der Sohn Wilhelm Proschwitz erlernte nach seiner Schulzeit das Müllerhandwerk. Nach seiner Meisterprüfung heiratete er 1934 und übernahm die Mühle mit der Landwirtschaft seiner Eltern. Doch das Schicksal traf die Familie Proschwitz sehr hart. Bei der Inbetriebnahme des Dieselmotors in der Mühle verletzte sich Meister Proschwitz durch einen Unfall an der Wirbelsäule so schwer, dass er nach einigen Tagen im Krankenhaus Torgau mit nur 39 Jahren im Jahre 1944 verstarb. Die junge Ehefrau stand mit den zwei Kindern, den alten Schwiegereltern und der Mühle mit der Landwirtschaft allein da. Ohne nachbarschaftliche Hilfe und weit vom Ort entfernt, musste sie in der schweren Kriegs- und Nachkriegszeit ihr Leben meistern. Der alte Müllermeister Hermann Proschwitz konnte in der Mühle nicht mehr arbeiten, denn er hatte Müllerasthma und so wurde die Mühle geschlossen. Am 1. November 1945 verpachtete sie die Mühle für einige Jahre an einen Umsiedler, den Müllermeister Wenzel Schuch. Der Sohn Helmut Proschwitz erlernte das Müllerhandwerk nicht mehr, denn durch die LPG war es nicht mehr möglich, eine Mühle als Existenzgrundlage zu betreiben. Durch einen tragischen Unfall verstarb der alte Müllermeister Hermann Proschwitz im April 1949 mit 76 Jahren. 1965 kaufte die Familie Proschwitz ein Grundstück in der Stadt Annaburg. Im Jahre 1981 wurde die weitgehend verfallene Mühle durch ein Unwetter umgeworfen und konnte nur noch als Heizmaterial verwendet werden. Da auch das Wohnhaus und die Wirtschaftsgebäude zerfallen waren, beräumte die LPG 1987 das Grundstück und trug auch die kleine Erhöhung, den so genannten Mühlberg, ab. Heute ist nichts mehr zu sehen, wo sich einst das Mühlengrundstück erstreckte.

Bahnmühle in Annaburg

Nach Angaben von Herrn Rudolf Otte erbaute sein Vater, der Getreidekaufmann Wilhelm Otte, 1924 die Bahnmühle. Er hatte die Vorstellung, das Getreide in Annaburg und Umgebung aufzukaufen, zu vermählen und das Mehl im Großhandel abzugeben. Die beste Transportmöglichkeit war die Reichsbahn, und so kaufte er den Bierkeller der Schultheißbrauerei und baute darauf seine Mühle. Die Mühle hatte Bahnanschluss und wurde von der Mühlenbaufirma Wetzig aus Wittenberg eingerichtet. Leider war zu dieser Zeit die große Arbeitslosigkeit in Deutschland. Es gab keinen Absatz für die Mühlenerzeugnisse und der Umsatz verringerte sich stetig. Im September 1932 kam es dann zur Zwangsversteigerung. Der neue Eigentümer wurde am 14. September 1932 die Sparkasse Herzberg im Kreis Schweinitz. Sie verkaufte die Mühle an den Landwirt Adolf Heese aus Waltersdorf im Kreis Schweinitz am 23. November 1932. Herr Heese verpachtete die Mühle an Herrn Albrecht aus Annaburg für zwei Jahre. Doch der häufige Wechsel der Pächter brachte nicht den gewünschten Erfolg, und so bot Herr Heese die Mühle erneut zum Verkauf an.
Der von Breslau nach Annaburg zugezogene Müllermeister Fritz Plaumann kaufte die Bahnmühle am 16. Mai 1938. Das Grundstück wurde ohne Gewährleistung für Größe, Güte und Beschaffenheit verkauft. Die Mühle war ein massives Gebäude und bestand aus dem Mühlenkeller, dem Walzenboden, dem Behälterboden und dem Sichterboden. Es waren drei Silozellen mit einem Fassungsvermögen von fünf Tonnen Getreide pro Zelle vorhanden. Für die Vermahlung waren ein Doppelwalzenstuhl mit 800 mm Walzenlänge, ein einfacher Grießstuhl von 800 mm Walzenlänge und eine Ausmahlmaschine vorhanden. Die Tagesleistung der Mühle betrug ca. fünf Tonnen in 24 Stunden. Am 19. Januar 1952 wurde der Müllermeister Fritz Plaumann verhaftet und wegen des Vergehens gegen das Gesetz zum Schütze des innerdeutschen Handels verklagt und enteignet. Nach der Enteignung erfolgten der Ausbau und die Verschrottung der Mühlenanlage. Das ehemalige Mühlengebäude mit Bahnanschluss nutzte von nun an der staatliche Forstwirtschaftsbetrieb. Nach der Wende übernahm die Firma Tilmann Borchard Maschinenbau GmbH das Mühlengebäude in der Gärtnerstraße 14.

 

Eberhard Förster

 

Quelle:

Eberhard Förster; Mühlen zwischen Elbe und Schwarzer Elster; Bücherkammer; Herzberg 2006

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