Grippeepidemien in Prettin
„Im Februar säte man Erbsen und Hafer. Eine neue Krankheit, die Grippe (Influrenza) suchte die Menschen heim; auch kamen hier die Menschenblattern wieder zum Vorschein, an denen viele Kinder und auch Erwachsene erkrankten.“
Diese Eintragung findet man in der Prettiner Chronik des Oberpfarrers Magister Friedrich Adolph Fürchtegott Buch (geb.27.11.1779 – 29.01.1848) unter dem Jahr 1833.
Die Grippe als Krankheit wird in den Chroniken schon seit dem Mittelalter unter verschiedenen Namen beschrieben, als „Influenza“ (it. für „Einfluss“) wurde sie im deutschsprachigen Raum erst seit der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts bekannt.
An anderer Stelle erfahren wir über diese Krankheit:
„Dieselbe soll unter anderen Namen nur, z. b. Influenza, Coqueluche, Jollet, Lasendo, Mal metallo, Mal Del Zucone, Italien, Frankreich, England durchziehen. Im vorigen Jahrhundert, 1709, 1729, 1732, 1742, 1781 verbreitet sie sich von Osten her über Europa. Nur auf eine ihrer vielen und großen Wanderungen ist sie mit der Cholera, im Jahr 1831 zusammen getroffen.“
Heute wissen wir, dass das Gefährliche an der Influenza nicht die Viren selbst, sondern die bakteriellen Sekundärinfektionen sind, die auf der Grippeerkrankung folgen kann. 1831 war diese Sekundärkrankheit die Cholera. So finden wir 1831 dann auch folgende Eintragungen:
„Mit Anfang dieses Jahres überschritt die Cholera ganz unverhofft Polens Grenzen und kam nach Petersburg u. Mitau. Es wurde eine militärische Sperrkordon an der Dwina aufgestellt. Bald überschritt (die Epidemie) aber auch diese und raffte in Riga, Danzig, Stettin, Posen, Königsberg mehrere Tausende (Personen) hier weg.“
Weiter erfahren wir :
“Am 22. Februar brach hier die Cholera aus. In dieser Zeit wütete sie furchtbar in Polen wieder, Gallizien, Siebenbürgen, Ungarn und drang vor nach Wien. Zur Verhütung ihrer weiteren Verbreitung wurde in unserer Gegend, …, mit einem Kostenaufwand ein Militär Cordon an der Elbe aufgerichtet … Die Elbe war gesperrt durch eine lange Kette von Soldaten, … von Magdeburg bis Mühlberg. Wittenberg und Torgau wurden für die einzigen Übergangspunkte der Elbe erklärt, und als solches zum Verkehr freigegeben. Der Handel lag danieder.“
An anderer Stelle stand:
„Überall waren Krankenhäuser und Untersuchungs-Anstalten errichtet. … Die Sperrung kostspielig und fruchtlos. Die Cholera übersprang die Gesundheitsgrenze. Auch hier fielen einige als Opfer derselben binnen 5 Stunden.“ „Auf einem Bretterwagen wurde er (das erste Opfer) abends 8 Uhr auf den Friedhof gefahren. … Niemand durfte den Friedhof betreten.“ „Das Haus, das der Gestorbene bewohnt hatte, war abgesperrt, bis der Landphysikus aus Torgau mit noch 2 Ärzten da gewesen war und den Zutritt in dem Hause wieder erlaubt hatte. Eine Zeitlang kam kein weiterer Todesfall vor. Plötzlich starben in einem Hause der Hauswirt, Schmager, seine Frau, der Schwiegersohn und ein Soldat vom Kommando. Der alle diese Kranken behandelnde Arzt Wigandt war innerhalb 4 Stunden … tot.“
Wir sehen hier, dass die rigorosen Grenzschließungen die Ausbreitung der Epidemien nicht verhindern konnte.
Superintendent Leisegang schreibt über die vorgenannten Ereignisse wie folgt:
„Es sollte ein schweres Jahr werden, das auch das stärkste Gottvertrauen schweren Prüfungen unterwarf. Die Witterung war von Anfang a ganz außergewöhnlich und für die Entwicklung aller Früchte sehr ungünstig. Einem heftigen Gewitter schon am 28. Februar mit Schloßen (Hagel) so groß wie Taubeneier folgten schwerere im Sommer. Starker Maifrost ließ die Baumblüte den Wein, die Nussbäume erfrieren. Anhaltenden Regengüsse, vom 26. Juli bis 3. August 8 Tage lang hintereinander, verdarb viel auf den Feldern. Auf eine schlechte Ernte 1830 infolge großer Nässe folgte eine noch schlechtere 1831. Alles war schlecht geraten, es mochte eine Frucht sein, welche es wollte. Dazu kam noch eine andere schwere Heimsuchung, die Cholera. Die furchtbare Seuche war Ende 1830 in Asien ausgebrochen und hatte sich dort merkwürdiger Weise in der kältesten Jahreszeit, wo Epidemien aufzuhören pflegen, doch weiter verbreitet und war vom Norden und Osten über Danzig, Königsberg, Stettin und Posen auch in diese Gegend vorgedrungen. Wohl waren umfangreiche Vorkehrungen zur Verhütung weiteren Vordringens getroffen mit großem Kostenaufwand. Die Elbe war gesperrt durch eine lange Kette von Soldaten, einen Militär-Cordon von Magdeburg bis Mühlberg. Kein Mensch durfte hier über die Elbe. Überall waren Krankenhäuser und Untersuchungs-Anstalten errichtet. Nur Torgau und Wittenberg wurden als einzige Übergangspunkte über die Elbe für den Verkehr frei gegeben. Handel und Verkehr lagen danieder. Dennoch drang die Cholera vor und raffte viele dahin. Ihr erstes Opfer in Prettin war der Refenderar Zeißke, ein Mann in der Vollkraft des Lebens, 40 Jahre alt. Auf einem Bretterwagen wurde er abends 8 Uhr auf den Friedhof gefahren. Der Nachtwächter und Totengräber ging neben dem Wagen her. Niemand durfte den Friedhof betreten. Soldaten standen Wache an den Stadttoren. Das Haus, das der Gestorbene bewohnt hatte, war abgesperrt, bis der Landphysikus aus Torgau mit noch 2 Ärzten da gewesen war und den Zutritt in dem Hause wieder erlaubt hatte. Eine Zeitlang kam kein weiterer Todesfall vor. Plötzlich starben in einem Hause der Hauswirt, Schmager, seine Frau, der Schwiegersohn und ein Soldat vom Kommando. Der alle diese Kranken behandelnde Arzt Wigandt war innerhalb 4 Stunden gesund und tot. Am 2. Weihnachtsfeiertag Abend 5 Uhr wurden Schmager und Wiegand auch auf einem Brettwagen hinter der Stadt weg zum Friedhof gefahren, vorher auch Frau Dietze, Schmagers Schwiegermutter. Traugott Dietze bekam das Nervenfieber nach der Cholera und ist mit Musik von der Schützengesellschaft unter Beteiligung der Offiziere vom Kommando beerdigt. Schlimmer noch als in Prettin wütete die entsetzliche Pest im benachbarten Großtreben, das damals 665 Einwohner zählte. Von 58 an der Cholera erkrankten Personen starben 27. Der hiesige Chirurg Steinborn verlegte seinen Wohnsitz nach Großtreben und erhielt für ärztliche Pflege und Aufsicht 100 Taler. Es geschah dies Anfang 1832. Viel Angst haben in jener Zeit alle ausgestanden und an jedem Tag gedacht: "Heute dir, morgen mir!" - In der Kirche wurden öffentliche Gebete allenthalben gehalten für Vertreibung dieses Würgeengels. Am schrecklichsten trat die Krankheit in Halle auf.“
Wir sehen an diesem Beispiel, dass sich Superintendant Leisegang fast wörtlich an die von seinem Vorgänger Oberpfarrer Buch verfasste Chronik hält.
So weit aus der alten Chronik. Sie wurden mir von Herrn Gäbel, Bürger und ehemaliger Uhrmachermeister aus Prettin zur Verfügung gestellt. Er hat diese handschriftliche Chronik, die für die heutige Generation in der kaum noch lesbaren Sütterlin-Handschrift vorlag, abgeschrieben und damit für uns erhalten.
Bernd Hopke
Annaburger Ortschronist
Quellen: „Chronik von Prettin und Lichtenburg angefangen von M.F.A.F. Buch, Oberpfarrer (Magister Friedrich Adolph Fürchtegott Buch) im Jahr 1833“; von Hans-Albrecht Gäbel handschriftlich 2009; unverlegt; „Die Geschichte der Stadt Prettin und ihrer nächsten Umgebung dargestellt von Superintendent Leisegang“; von Hans-Albrecht Gäbel handschriftlich 2015; unverlegt;