Annaburger Musikschüler

in Diensten der russischen Armeeps_20161123145354


In seiner Festschrift zur 150. Jubiläum des Militär-Knaben-Erziehungsinstituts zu Annaburg im Jahr 1888 schreibt der Institutsgeistliche Friedrich Gründler zu den Vorgängen im Jahr 1813 folgendes:

ps_20161123132043„…Hatten die Preußen Proviant und Schlafdecken mitgenommen, die Russen ließen noch besseres mitgehen. Der russische Generalmajor Baron Pahlen, Chef des Izunz`schen Husaren Regimentes, nahm in Annaburg Quartier. „Seine Regiments Musik war erbärmlich, da dieselbe nur Stäbe mit Messingplatten führte, auf welche zur Begleitung des monotonen Gesanges geschlagen wurde.“ Er nutzte daher die günstige Gelegenheit, sich ein besseres Musikkorps zu verschaffen, indem er 17 der besten Musikschüler bewog, ihm zu folgen, und die erforderlichen Instrumente der Vollständigkeit halber gleichfalls mitnahm. Durch Geschenke und Versprechungen wurde es ihm nicht schwer, die Knaben, welche die Aussicht auf kriegerische Abenteuer nur allzu sehr lockte, seinem Plane geneigt zu machen.“

„…In dem Bericht über die Veränderungen des Knaben Bestandes im Jahre 1813 finden sich als abgegangen: 23 Knaben an die Kaiserlich russische Armee, 17 als Pfeiffer und 6 zu Bedienungen.“

ps_20161123143248„…Am 7. Juli 1815, als soeben die Zöglinge aus dem Speisesaale von der Morgensuppe kamen, ritt eine Anzahl russischer Trompeter auf Schimmeln in den Schlosshof ein: es war der Rest jener Musikschüler, welche Pahlen einst mitgenommen. Sie waren nun auf dem Marsche nach Russland und von Üebigau, wo sie tags zuvor eingerückt waren, herübergekommen. Ehe sie in die neue Heimat gingen, wollten die die alte noch einmal wiedersehen. Das gab nun viel zu erzählen, dass der Direktor für diesen Tag den Schulunterricht ausfallen und die Gäste zum Mittag festlich speisen ließ.“ (1)
 In russischen Diensten

Zum weiteren Schicksal der aus Annaburg rekrutierten Musikschüler in der russischen Armee berichtet der preußische Leutnant Johann Karl Kretschmar vom 34.Infanterie Regiment aus seiner Zeit als Platzkommandant in Paderborn im Winter 1813/14:

„…Die Bagage des Russischen Generals Oruck, ging begleitet von einem Russischen Kommando gleichfalls durch, und ward anderthalb Meilen vor der Stadt einquartiert, sie führten die ganze Kapelle von kleinen Virtuosen aus dem militärischen Erziehungs-Hause in Annaburg mit sich, welche von dort, entweder gutwillig oder als Kriegsgefangene mitgeschleppt wurden. Gott weiß es, welcher Streit sich in dem Quartier mit den Bauern erhoben hatte; genug ein Russe war erschlagen, die übrigen derbe durchgeprügelt, die Bagage geplündert worden, und die ganze Eskorte nebst den kleinen Musikanten, welche ihre Instrumente verloren hatten, kam zu Fuß nach der Stadt zurück, und meldeten ihr Unglück.

Ich ging gleich mit einem Kommando in die wilde Gegend, und mit vieler Mühe gelang es mir den größten Teil der Effekten wieder herbeizuschaffen; doch fehlte manches, die Wagen und Kasten waren zerbrochen, und die musikalischen Instrumente voller Beulen, und verbogen, ein Kästchen mit Ordenszeichen ward erst später aufgefunden und dem Eigentümer zugesandt. So viel schien aus allem hervorzugehen, dass Misshandlungen der Russen den Streit und die Schlägerei erzeugt hatten, die Wagen aber ausgeplündert worden, nachdem die Russen der Übermacht weichend entflohen waren. Die Totschläger konnten nicht ermittelt werden.“ (2)

Thomas Finke

Quelle:

  • (1) F. Gründler „Festschrift zur Einhundertfünfzigjährigen Jubelfeier des Militär-Knaben-Erziehungs-Instituts zu Annaburg von 1888“, Seite 373ff
  • (2) Johann Karl Kretschmer; „Soldaten-, Kriegs- und Lagerleben: Blüten der Erinnerung aus dem Befreiungskriege gesammelt von Johann Karl Kretschmer, Danzig 1838“