Über die Auflösung der Strafanstalt im Jahre 1927 erfahren wir aus der Prettiner Chronik des Bürgermeisters Georg Reichmann folgendes:
„Ein weiterer schwerer wirtschaftlicher Schlag ist der hiesigen Stadtgemeinde und auch der Geschäftswelt durch die Auflösung der Strafanstalt Lichtenburg, die volle 115 Jahre bestanden hatte, zugeführt worden. Die Ursache hier zu haben die nur wenigen Ausbrüche einiger Strafgefangener gegeben und zwar durch die im Preußischen Landtag von den Landtagsabgeordneten Boes, Heiken und Horn gestellten Anfragen, sowie durch die sehr übertriebenen Berichte in den Zeitungen der Umgegend. Alle Versuche des Bürgermeisters im Justizministerium und im Preußischen Landtag, die Strafanstalt zu halten, sind leider gescheitert, weil die hiesige Strafanstalt an modernen Strafvollzug ganz und garnicht mehr mitsprechen, und weil die übrigen bestehenden Strafanstalten, die angeblich moderner sein sollten, nicht voll besetzt sein.“
Im 18. Jahrhundert bestanden neben den staatlichen Festungsgefängnissen städtische Zuchthäuser und ständische Korrigenden- und Arbeitshäuser für den Strafvollzug. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert führte zu einer Differenzierung zwischen staatlichen und ständischen Zwangsarbeits- und Zwangerziehungsanstalten. Die größeren, für die Vollstreckung längerer Freiheitsstrafen vorgesehenen Strafanstalten ressortierten seit 1817 bei den Regierungen unter Aufsicht des Ministeriums des Innern. Das waren in der Provinz Sachsen zunächst die Gefängnisse in Delitzsch, Halle und Lichtenburg. Die Zwangsarbeits- und Zwangserziehungsanstalten gingen 1875 auf den Provinzialverband über.
Schon mit dem Inkrafttreten des preußischen Strafgesetzbuches von 1851 war es innerhalb des Strafvollzuges zu einer strengen Unterscheidung zwischen der schweren Zuchthausstrafe und der leichteren Gefängnisstrafe gekommen. Zuchthaus für männliche Gefangene in der Provinz Sachsen war die Strafanstalt Lichtenburg, die 1928 geschlossen wurde und später als Konzentrationslager diente.
Weitere Ereignisse aus dem Jahr 1927 waren:
„Am 1. Oktober wurde der 80. Geburtstag unseres allverehrten Herrn Reichspräsidenten Generalfeldmarschall von Hindenburg durch einen Familienabend im Hotel Stadt Berlin festlich und würdig begangen. Eingeleitet wurde derselbe am Vorabend durch einen Zapfenstreich der Freiwilligen Feuerwehr Prettin.
Die Erwerbslosenzahl, die in allen Städten und Dörfern schnell zunahm, konnte in Prettin als eine sehr niedrige bezeichnet werden. Die ersten Anträge auf Erwerblosen-Unterstützungen wurden erst Mitte November entgegengenommen und belief sich die Zahl derselben Ende November auf 5 Unterstützungsempfänger. Durch den Kampangnenschluß in der Zuckerfabrik in Radegast Mitte Dezember, in welcher viele Prettiner beschäftigt waren, und durch die plötzlich eingetretene strenge Kälte vor Weihnachten, erhöhte sich die Erwerblosenzahl auf 27.
Das Schuljahr 1927 war beseelt und getragen vom Geiste des großen Schweizerpädagogen Johann Heinrich Pestalozzi. Am 17. Februar, dem 100. Todestage Pestalozzis, fand eine Familienfeier statt, die durch Gedichte, Festspiellieder un ddurch eine Festtagsansprache ein packendes Lebensbild des edlen Menschenfreundes gegeben hatte.
Zu Schulfeiern waren Haus und schule mehrmals vereinigt. Vor den Sommerferien wurde das erste Kinderfest des Schulverbandes in Prettin gefeiert. Schulwanderungen wurden öfters vorgenommen.“
Bernd Hopke
Annaburger Ortschronist
Quelle G. Reichmann; „Chronik der Gemeinde Prettin bearbeitet von Bürgermeister Georg Reichmann Geschrieben von Sparkassenangestellten Hauschild; Prettin /Elbe, am 10. Juli 1938; handschriftlich; übertragen von Hans-Albrecht Gäbel; 2014; unveröffentlicht Landesarchiv Sachsen Anhalt; Straf- und Gerichtsgefängnisse im Regierungsbezirk Merseburg C144