Revolution 1848

Für Demokratie anno 1848 in Annaburg

Karl Stangen der Begründer der Reisebüros, schreibt aus seiner Jugendzeit über die Märztage 1848 in Annaburg:

„….Da, eines Tages, es muss wohl kurz nach den unglücklichen Berliner Straßenkämpfen im März dieses verhängnisvollen Jahres gewesen sein, bemerkten wir gegen Abend, dass sich vor unserer Schlossbrücke eine Menge Volks aus unserem sonst friedlichen Orte „Lochau“ oder wie es jetzt heißt „Annaburg“, jenseits der Schlossbrücke ansammelt und Anstalten machte, unser liebes Schloss, „wo einst Mutter Anna Goldtinkturen braute“, „zu stürmen“. Zu welchem Zweck? - - Sie wollten unsere Waffen ausgeliefert haben! - - Du lieber Gott! - - Unsere Waffenkammer lag im Vorderschloss links vom Eingange. Es standen sich darin, soviel wie ich mich erinnere, 100 alte französische Karabiner, die im Feldzug 1813/15 erbeutet worden waren und ebenso viele Seitengewehre, mit denen die Militärschüler der Anstalt für den Militärdienst ausgebildet wurden, und mit denen die erste Kompanie der Anstalt exerzierte …
Durch den Lärm aufmerksam gemacht, kam unser damaliger Kommandeur, Major von Brauchitsch, aus seiner Wohnung und trat unter uns, indem er sich über die Ursache unserer Beunruhigung genau informierte.
Wir hatten kaum nötig, in aufzuklären, denn als er von den „Bürgern“ des Ortes bemerkt wurde, tönte es bald laut über den Graben herüber: „Gebt uns die Waffen, wir bilden eine Bürgerwehr!“ – alsdann: „Wir wollen Freiheit und Gleichheit!“ und „Pressfreiheit“ und dergleichen mehr. Die Masse war dicht an den Graben herangerückt, und einige Rädelsführer hatten sich sogar bis auf die Brücke vorgewagt. Wir Knaben befanden uns in großer Aufregung.
Major von Brauchitsch jedoch beruhigte uns. „Seid ruhig, Kinder, ich werde gleich hören, was die Leute eigentlich wollen.“ - - Dabei fühlte er nach seinem Degen, den er aber ruhig in seiner Scheide stecken ließ, und ging über die Brücke, mitten unter das revoltierende „Volk“.
Wir zitterten in Besorgnis, dass ihm etwas Unangenehmes passieren könnte. Unsere Angst erwies sich aber glücklicherweise als unbegründet; denn bald kam er wieder zurück, und der Haufen drüben zerstreute sich. - - Mit wenigen Worten hatte der Major die Gesellschaft beruhigt. - - Nur ein Kuriosum erzählte er uns nachher. - - Einer der unruhigen Köpfe hatte nämlich fortwährend geschrien: „Pressfreiheit wollen Wir.“ - - Es war ein Schneider. Den hatte Herr von Brauchitsch gefragt, ob er denn wisse, was Pressfreiheit sei. Darauf habe ihn der Schneider verblüfft angesehen. – Da habe der Major ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: „ Lieber Freund, wenn Ihr mir einen Rock macht, der schlecht sitzt, dann habe ich, wenn wir Pressfreiheit haben, das Recht, öffentlich bekannt zu geben, dass ihr ein schlechter Schneidermeister seit!“ - - Der Schneider habe, als er dies hörte. Ein ganz verdutztes Gesicht gemacht, sich ein Weilchen besonnen und alsdann plötzlich ausgerufen: „Nein, dann wollen wir keine Pressfreiheit, der Herr Major von Brauchitsch soll leben hoch!“ und da haben die anderen eingestimmt. –
Die Waffen mussten wir aber später doch auf höheren Befehl hin der löblichen Bürgerwehr von Annaburg ausliefern. - - Wir empfanden doch oft genug grimmen Ärger, wenn wir die bunte Gesellschaft damit ausrücken und exerzieren sahen“.

Bernd Hopke
Ortschronist 

Quelle: 
Otto Heintze: Annaburg das Städtlein an der Heide; Ein geschichtlicher Rückblick; 1838 Annaburger Zeitung

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