Von vergessenen Gräbern, Ostereiern und einem (Ur)Wald der einst ein Stadtpark war.
Als der Bau des Annaburger Schlosses (1572-75) beendet war, wurde ein größerer Tiergarten angelegt, als der Alte von Friedrich dem Weisen eingerichtete. Dieser Garten zur Annaburg war von einem Graben und einer 8,5 km langen Mauer umgeben. Otto Heintze gibt in seinen Schriften eine Länge von 7,5 km an, das hängt damit zusammen ob man die Ummauerung der Annaburg mit einbezieht oder nicht. Der Schlossgraben vor dem Vorderschloss, der den Schlossbereich vom Markt und dem Städtlein Annaburg trennte, gehörte ja mit zum Mauergraben.
Südlich des Schlosses, zwischen Schloss und heutigem Baumschulenweg, befand sich der Schlossgarten. Er wurde nach Westen durch den großen Schlossteich begrenzt. Als südliche Grenze diente anfänglich ein Wall und Wassergraben. Dieser Garten wurde sehr bald in südlicher Richtung erweitert und erfuhr seine Abgrenzung zum großen Tiergarten durch eine Mauer. Die damalige südliche Begrenzung ist mit der Lage eines Teiles des heutigen „Baumschulenweg“ identisch. Diese Mauer wurde nach Westen (1577) erweitert und verlief als „Quermauer“ nun durch den gesamten „Tiergarten„. Zu August’s Zeiten befand sich hier ein Schießplatz mit Gebäuden (Schießgebäude). Im 17. Jh. wurde auf diesem Terrain ein Barockgarten angelegt. Dazu wurde der Wassergraben, der den Schießplatz östlich begrenzte, verfüllt. Die Quermauer hatte auch die Aufgabe den Neuen Garten und angrenzenden Bereich vor Wildverbiss zu schonen. Hier sollten wohl nur noch ausgewählte Tiere gehalten werden.
Der Größere südliche Bereich war der Jagd vorbehalten. Hier entstand der erste vollständig kreisförmig angelegte Jagdstern in Deutschland. Beschreibungen ähnlicher Anlagen erfolgten in der Jagdliteratur erst 100 Jahre später, nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges.
Die Planungsunterlagen für die großen Treibjagden aus dem 17. Jahrhundert geben als Zielgebiet (Lauf) den Tiergarten an. Im Tiergarten von Annaburg wurden dann die großen Jagdstrecken von 200 Stück Wild und mehr erlegt.
Das Gebiet des Tiergartens verlor im 18. Jh. seine Bedeutung für die Jagd und wurde seit dieser Zeit durch das Staatsgut, die Domäne genannt, genutzt. Nach diesem Tiergarten wurde unter Preußen im 19. Jh. eines der großen Forstreviere benannt. Der letzte Amtmann von Annaburg Carl Friedrich Bercht erwarb die ehemalige königliche Domäne und damit den Tiergarten 1831. In seiner permanenten Geldnot, veräußerte er nicht nur Teile von seinem Besitz, sondern ließ auch die an ihm mitverkaufte Tiergartenmauer im Zeitraum 1835 – 1839 zum Abbruch verkaufen. Die Eisenbahnlinie von Wittenberg nach Falkenberg zerteilte ab 1873 das Gebiet des ehemaligen Tiergartens. Im 19. Jh. wurden die nördlichen am Schloss gelegenen Teile des Tiergartens bebaut. Die Bebauung der Züllsdorfer Straße erfolgte dann im 20. Jh. Ein kleiner Rest des ehemals 355 ha großen Tiergartens wurden in den 30iger Jahren des vorigen Jahrhunderts der Stadt Annaburg als Stadtpark überlassen. Er ist auch heute noch auf den Stadtplänen als Tiergarten ausgewiesen.
Nach 1945 bis weit in die 70iger Jahre nutze die sowjetische Garnison den Stadtpark als Taktikgelände, worunter vor allem die bronzezeitliche Hügelgräber, die „Kullerberge“ litten. Diese befinden sich an der Südseite des heutigen Tiergartens. Erst durch die Einstufung des „Tiergartens“ als Landschaftsschutzgebiet konnte man die „Freunde“, von der weiteren „Nutzung“ des Tiergartengeländes abhalten und die bronzezeitliche Gräber vor möglichen Beschädigungen schützen.
Bei den Hügelgräbern war es noch im vergangenen Jahrhundert Brauch zur Osterzeit, ehe ein Osterei gegessen werden durfte, es von einem der Kullerberge im Tiergarten herunter zu kullern, bis die Schale gebrochen war.
Die Hügel sind einstige bronzezeitliche Hügelgräber aus der Lausitzer Kultur. Dabei handelt es sich um das Hügelgräberfeld 32. Die Hügelgräber sind etwa 1,5 m hoch und befinden sich in der Süd-West-Ecke des Waldrandes. Der Süd- und Ostrand wurde zusätzlich durch Nutzer der Gartensiedlung mit gärtnerischem Unrat verschmutzt.
Über frühere Urnenfunde hier berichten die Chroniken, dass man im Jahr 1578 beim Roden von Bäumen im damaligen Tiergarten auf einigen Töpfen (Urnen) mit Asche stieß. Eine dieser Urnen wurde dem Kurfürsten August übersandt. Er schickte sie zurück:
“Es ist zu vermuten, dass in Vorzeiten in der Heidenschaft, da man die toten Leichname noch pflegte zu verbrennen, ihr Begräbnis allda gewesen sei. Deshalb schicken wir das eine Schreiben mit dem Topfe hierbei wieder und begehren, du wollest denselben samt den anderen Töpfen in Verwahrung setzen, bis etwa ein neuer Kirchhof gemacht, und wollen wir solche wieder beisetzen und verscharren lassen.“
Zu finden sind aber auch noch neuere Gräber im Annaburger Tiergarten. Die befinden sich fast mittig im Stadtwald. Hier liegen die einst idyllisch angelegen Waldgräber der beiden Oberförsterfamilien Sack. Diese Gräber liegen inmitten eines etwa einen Morgen großen viele Jahre hindurch liebevoll eingezäunt Waldstück und waren einst geschmackvoll mit Waldbäumen eingefasst. Diese Gräber erinnern an verdiente Forstleute. Karl Sack, geboren am 22.04.1792, zuletzt königlicher Oberförster, gehörte zur ersten Generation gebildeter bürgerlicher Forstbeamter. Er unterstand Karl von Hagen der in sächsischer Zeit noch als Oberforstmeister (die Oberförstermeisterei wurde 1816 eingezogen) und in preußischer Zeit Forstmeister in Annaburg war. Ihm unterstand (1841) neben dem besagten Karl Sack auch der Oberförster Herr August von Reitzenstein der als Verwalter der Oberförsterei Annaburger Heide eingesetzt war. Der preußische Forstmeister Karl von Hagen fand seine letzte Ruhestätte nach seinem Tode am 11.09.1850 auf dem Annaburger Barockfriedhof neben unserer evangelischen Kirche.
Karl Sack wurde erster preußischer Forstbeamter und war als Revierverwalter der Oberförsterei Thiergarten hier vom 01.10.1816 bis zum 01.07.1868 tätig. Vermutlich erhielt er auch seine Ausbildung in Eberswalde. Verstorben ist er dann am 18.03.1871 hier in unserem Ort. Seine Verdienste lagen neben der Einführung der preußischen Waldforstordnung und deren Umsetzung, vor allem in der Wideraufforstung der stark mitgenommenen Waldbestände der Annaburger Heide. Auch war er in den Servitutsablösungen (Umwandlung der Waldnutzungsrechte in Geldwerte) ab 1846 bis zu seinem Dienstarbeitsende involviert. Über die bestehenden Nutzungsrechte äußerte sich Karl Sack in den Quellen folgendermaßen:
„Wird die möglichst rasche Entfernung (der Servituten) … zur dringenden Notwendigkeit und bildet mit Rücksicht auf den bedenklichen Zustand der Annaburger Heide fast eine Lebensfrage, in dem bei einem Fortbestand jener Servituten … die … Aufgabe, den Wald möglichst bald einem normalen Zustand zuzuführen, gar nicht gelöst werden kann…“
Nachfolger wurde sein Sohn, Karl Sack, geboren am 22.08.1832 in Annaburg. Er durchlief die gleiche forstliche Ausbildung wie sein Vater, diente dann als Referendar in den Forstrevieren der Dübener Heide und wurde ab 01.07.1868 Revierverwalter der Oberförsterei Thiergarten. Diesen Posten hatte er bis zum 01.07.1902 inne. Verstorben ist er in Annaburg am 03.05.1908. Zu seinen Verdiensten zählen Felduntersuchungen zur effizienteren Aufforstung genauso wie Untersuchungen zur Bekämpfungen der Kalamitäten wie den Raupenfraß der Kieferspanner (1900 bis 1903 wurden in der Oberförsterei Annaburg 245 ha Kiefernbestände durch den Spanner vernichtet). Er war auch maßgeblich beteiligt an der Gründung und Einrichtung unserer Samendarre und sollte einer der letzte sein der hier im Tiergarten beigesetzt wurde.
Die Familiengräber zweier Generationen verdienter Forstleute – sie geben heute einen erbärmlichen Zustand ab. Die Gräber ungepflegt, das Gelände mit Wildbewuchs fast in einen natürlichen Waldzustand versetzt, wenn nicht die Grabenfragmente und die Reste der Einfriedung wären. Einen Weg zu den Gräbern gibt es nicht mehr, er ist renaturiert.
Aber auch der Rest, der einstige gepflegte Annaburger Stadtpark, hat sein natürliches Aussehen erhalten – er gleicht heute schon eher einem Stück Urwald in mitten einer Stadt. Eine blühende Landschaft der besonderen Art. Und dieses grüne Highlight ist natürlich besonders schützenswert – deswegen macht ein etwas kraftlos wirkendes Schild, an einem Baum in zwei Meter Höhe angebracht, den Spaziergänger auf die Gefahren eines natürlichen Waldgebietes aufmerksam.
Bernd Hopke
Ortschronist
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Quellen: Otto Heintze „Die Annaburger Heide“; Verlag Steinbeiß; von 1938; Gründler, E.: „Schloß Annaburg“ Festschrift zur einhundertfünfzig-jährigen Jubelfeier des Militär-Knaben-Instituts zu Annaburg, Verlag von Oscar Haebringer, Berlin 1888 Autorenkollektiv unter Leitung von Willy Hartung; „Betriebsgeschichte des Staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Jessen in Annaburg“,um 1985 unverlegt; Eigenverlag,; Karte Nachzeichnung (18. Jh): Lochische und Seydische Heide mit den umliegenden kleineren Wäldern und Gehölzen, 1556, im Sächsisches Staatsarchiv, 12884 Karten und Risse, Nr. Schr 006, F 080, Nr 013; Karte der Annaburger Heide, 1633, Sächsisches Staatsarchiv, 12884 Karten und Risse, Nr. Schr 003, F 044, Nr 001;
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