Schützenjubiläum 1914

Die Jubiläumsfeierlichkeiten der Prettiner Schützengilde am 10.07.1914

Die Ausführungen in den Handschriften (Loseblattsammlung) über die Prettiner Schützengilde geben uns vor allem in der aufgezeichneten Rede von Leisegang einen geschichtlichen Überblick über die Entstehung und dem Fortbestand dieser Gilde.

"Ein schönes Fest war es, welches die Schützengilde in ihrem festlich geschmückten Orte feiern konnte, nämlich das 400jährliche Bestehen und zu gleicher Zeit das 150-jährige Fahnenjubiläum. Programmgemäß nahmen die Festlichkeiten am Sonnabend abends ihren Anfang. Auf dem Festplatz herrschte schon ein reges Leben und wie mancher mag wohl den Kommers im Schützenhaus vermisst haben. Mit dem Zuge um 9 Uhr traf eine Abordnung der Berliner Landsmannschaft ein und wurde feierlich eingeholt. Leider ereignete sich hierbei ein kleiner Unfall: Landsmann Schmidt kam beim Aufmarschieren auf dem Marktplatz zu Falle und zog sich eine Verletzung an der Stirn zu. Die Herren begaben sich nun nach dem Schützenhause, wo inzwischen der Kommers begonnen hatte, jubelnd begrüßt von den dort Anwesenden. Von auswärtigen Schützenbrüdern hatten sich auch schon ein paar Mühlberger Herren eingefunden und waren herzlich begrüßt worden. Es herrschte eine fröhliche Stimmung. Die Turner erfreuten durch einige sehr schöne Gruppenstellungen sowie durch ihre Stabwindungen und das Keulenschwingen. Herr Landsmann Richter überreichte namens der Landsmannschaft ein von ihr gestifteten Wanderpreis. Der Major der Gilde, Herr Fleischermeister Röhnert, nahm denselben entgegen und dankte im Namen der Schützengilde. Der Wanderpreis, eine kette mit Orden, ist jeweils von dem besten Schützen beim Anschießen auf ein Jahr zu tragen. Bemerken gleich, daß denselben für diesmal Herr Adolf Paul mit 90 Ringen bei fünf Schuss errungen hat. –
Nach Schluss des Kommerses wurden von den Teilnehmern die Lokale in der Stadt aufgesucht, wo die Fröhlichkeit noch lange anhielt. Der Sonntag brachte uns den Hauptfesttag; trüb und regnerisch schaute der Himmel hernieder, aber das Befürchtete trat nicht ein; das Wetter war, abgesehen von etwas kalt in den Abendstunden (in den Tanzsälen war allerdings nichts davon zu merken) noch gut zu nennen. Zahlreiche Bruder=Vereine der Umgegend, es waren deren 15, waren der Einladung des Jubelvereins gefolgt und hatten ihre Mitglieder teils in größerer, teils in geringer Anzahl nach hier entsandt. Vertreten waren Berlin (Landsmannschaft), Torgau (2 Vereine), Dommitzsch, Annaburg, Jessen. Pretzsch, Schmiedeberg, Klein=Wittenberg, Elster, Kemberg, Falkenberg, Herzberg, Mühlberg und Schönewalde. Um ½ 1 Uhr begann die Aufstellung des Festzuges auf dem Marktplatz. Auf dem frischem und geschmückten Podium hatten eine Anzahl Jungfrauen und ihre Ehrengäste der Gilde Platz genommen. Herr Bürgermeister Huth begrüßte die erschienenen Gäste und gedachte kurz der Gilde und ihre Entstehens. Herr Superintendent Leisegang hielt die Festrede, deren Wortlaut wir folgen lassen:"

Leisegangsrede:

"Jäger und Schützen, Bürger und Gäste dieser Stadt!
Am denkwürdigen Tage des Frankfurter Friedensschlusses, unter dem Zeichen des Roten Kreuze, das Liebes- und Friedensarbeit haben möchte, so viel wie möglich im Frieden wie auch im Kriege – sind wir hier zur Feier eines schönen örtlichen heimatlichen Friedensfestes versammelt. Die Schützengilde Prettin feiert ihr 400 jähriges Bestehen und den 150 jährigen Besitz ihrer ältesten Fahne. Schützengilde und Schützenfest! Die Worte bedeuten Freude und Fröhlichkeit für jeden Schützen und Bürger, deren Pflege ehrbarer, sittsamer Geselligkeit und die Feier froher Feste nach des Tages Last und Plage lassen sich die Schützengilden angelegen sein. Und doch sind die Schützengesellschaften keine bloßen Vergnügungsvereine, wie sie zu hunderten in unsern Tagen nicht gerade zum Besten unseres Volkskörpers und seinen innerenwirtschaftlichen und sittlichen Erstarkung bestehen.
Die Schützengilden ragen herein aus alter zeit in die neue, aber nicht wie ein zerfallender morscher Bau, den man abzutragen sich beeilt, sondern wie eine alle Stürme und Wetter der Zeit überdauernde altehrwürdige, schöne Ruine im Schmuck des Efeus und Immergrüns, zu der man den Blick gern erhebt und die man sorgsam zu erhalten strebt. Wenn irgend ein Verein, so kann die Schützengilde auf ihr Schild und ihre Fahne schreiben das alte Lied des Wandsbecker Boten Matthias Claudius: Zur Ahnentugend wir uns weihen, zum Schutze deiner Hütten, wir lieben deutsches Fröhlich sein und alte deutsche Sitten. Der heutige Tag, die hiesige Schützengilde machen uns das besonders eindringlich. Die Schützengilden sind geschichtlich geworden, bedeutungsvolle Gebilde, die den Edelrost alter Erinnerungen an sich tragen und edle, gemeinnützige, dem Schutz des Vaterlandes und der Kirche, der Heimat und der Mitbürger dienende Zwecke verfolgt haben und durch ihr Fortbestehen bekunden, daß ihr diese Zwecke und Ziele noch immer heilig sind und hoch bei ihr im Werte stehen.
Von der Schützengilde Prettin wollen wir uns heute in dem Schacht der Vergangenheit hinabführen lassen, in dem sich ihre Spur manchmal trotz sorgfältigster Nachforschung für Jahre und Jahrzehnte verliert, und mit ihr heraussteigen wieder ans helle Licht der Gegenwart."
"Der Tag, auch das Jahr der Gründung der hiesigen Schützengilde stehen nicht genau fest. Aber 400 Jahre ist es her, daß sie besteht. Aus dem Jahre 1504 dadiert eine Schenkungsurkunde der Erbherren Hans und Ludwig v. Kanitz zu Treben an die Brüderschaft der Schützen in Prettin in Höhe von 100 Goldgulden zur Errichtung eines neuen Altars in hiesiger Kirche und Mehrung des Gottesdienstes. So sah die Schützengilde noch die zeit vor dem Beginn der Reformation, da man zu den Heiligen betete und die Gilde selbst im heiligen Sebastian ihren eigenen Heiligen hatte. Sie waren dabei, die Schützen in Prettin, als der große Reformator auch hier in dieser Stadt selbst seine Lehre verkündigte, die Stadt evangelisch machte, den ersten ev. Pfarrer Jacob Pistorius hier einführte und die Heilgenaltäre verschwanden. Die Gilde hat sicher in jenen Tagen voll Erregung und Unruhe zur Aufrechterhaltung der Ordnung das Ihre getan. Die Schützen sahen den Einzug der Glaubens starken, von ihrem Gemahl um ihres ev. Glaubenswillen flüchtigen Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg 1526 in die Tore dieser Stadt und gaben ihr wahrscheinlich bis zum Schlößchen das Geleit, zu ihrem Wohnsitz für die nächsten 18 Jahre. Es erlebte die Gilde den großen Brand der Stadt 1539, der nur 3 Häuser verschonte und wird auch dabei reiche Arbeit gehabt haben, sie half retten bei so manchen der furchbaren Überschwemmungen in jener alten Zeit. Sie sonnte sich im Glanz, der mit dem Regiment der Kurfürstin Hedwig für die Stadt Prettin ihre Residenz anbrach. Aus der Hand der frommen Fürstin nahm die Gilde eine Fahne, vielleicht die erste. Das letzte Jahrzehnt des 30jährigen Krieges vernichtete bald darauf schonungslos alles, auch hier, was soeben aufgeblüht war. Feuer und Schwert, Hunger und Pest wüteten so gegen alles Lebendige und Leblose, daß auch keine Erinnerung mehr blieb an das in jener Zeit Geschehene außer der Erinnerung an die unbeschreibliche Verwüstung und Vernichtung. So erfahren wir auch über die Schützengilde in jenen Jahren nichts.
Aber 1662 sind sie wieder da und entsenden eine Abordnung nach Dresden zu einem großen Armbrust- und Stahlschießen bei den Hochzeitsfestlichkeiten am Hofe des Kurfürsten Johann Georg. 
Im 18. Jahrhundert verwendet die Gilde viel Sorgfalt bei zeitgemäße Umgestaltung ihrer Leges, Satzung und ihrer Kleidung. 1764 erhielt sie eine neue Fahne, die als Geschenk des Kurfürsten von Sachsen, dessen beiden Wappen das kursächsische und prettinische sie trägt, (?) ist, da der Kurfürst das Geld – 50 Taler- zur Anschaffung dieser Fahne schenkte. Die Fahne feiert heute ihr 150jähriges Jubiläum.
Der Anfang des 19. Jahrhundert brachte die Stadt und mit ihr die Schützengilde unter Preußens starkes Königstum, von dem die deutsche Erhebung gegen den allgewaltigen Franzosenkaiser Napoleon I. ausging. In den schweren Zeiten der deutschen Freiheitskämpfe haben die Schützen viel gemeinnützige, vaterländische Arbeit getan. – 1806 übernahmen sie den täglichen Wachdienst zur Sicherung der Stadt,1809 halfen sie bei Rekrutentransporten, 1813 stellten sie Wachposten für preußische und russische Zeughäuser und Arrestanten, eine hier eingerichtete Kgl. Bücherei, führten Brot- und Fouragetransporte aus nach Torgau und Herzberg und stellten Begleitmannschaften für die Lieferungen an das Quartier, das General Pestel in Rosenfeld bei der Belagerung Torgaus auf geschlagen hatte. In den Tagen der großen Völkerschlacht bei Leipzig bewachten die Schützen die Straf- und Besserungsanstalt in Lichtenburg unter dem Befehl eines Majors Ploetz, der mit nur wenigen Rekruten dazu abkommandiert war. Auch noch in später Zeit übernahmen die Schützen bei Feuergefahr und Aufruhr Hilfe zu leisten in der Strafanstalt und erhielten dafür von König Friedrich Wilhelm III. 100 Gewehre, ebenso viel Seitengewehre mit Bandelieren, Patronentaschen und 1000 Patronen.
Unter Preußens Scepter sehnte sich die Gilde auch nach einer preußischen Fahne aus des Preußenkönigs Hand. Der Wunsch wurde ihr erfüllt. In dem Jahre 1848, wo die dunklen Wetterwolken der Revolution über dem preußischen Volke in deutschem Vaterland standen, knüpfte die Schützengilde hier die Bande königstreuer Gesinnung fester bei der Weihe der neuen Fahne am 25. Juni des Jahres 1848, nachdem sie wenige Wochen vorher ein schönes, großes Jubelfest beging, das auch noch in der Erinnerung der Ältesten sein wird, die Ehrung ihres Hochverehrtes, all beliebten 70jährigen Führers, des hiesigen Einwohners und Landwirt Carl Böckner. 
Auch diese Tage im Jahre sind längs dahin. Wieder rauschen die Flügel der Zeit die Neues, Großes, Gewaltiges herauf führte, dem letzten großen Krieg und danach den langen, schönen aber auch schon manchmal schweren, oft bedrohten Frieden mit viel heißen inneren Kämpfen und Ringen. Vor 16 Jahren feierte die Schützengilde ihr letztes Fest, das 50jährige Jubiläum ihrer preußischen Fahne am 26. Juni 1898.
Die heutige Feier gilt nicht einem Neuen, sondern dem Alten, dem alten, durch Jahrhunderte hindurch bewährten, treuen, gemeinnützigen, aufopferungsvollen, ehrsamen, frommen, schlichten Bürgersinn, den die Schützengilden zu pflegen sich zur Aufgabe gemacht haben und der reiche und schöne Früchte getragen hat. Dies Alte veraltet nie. Mögen andere Hunderttausende in die ursprüngliche Aufgaben der Schützen getreten sein und besseren Schutz gewähren, geschützt haben die Schützen zuerst und zu schützen wollen sie nicht aufhören, und sie werden, wo sie gebraucht werden, ihren Mann stehen."

Bernd Hopke
Annaburger Ortschronist

Quelle
Handschriftliche Blätter um die 136 Seiten, verschiedener Handschriften, unbekannter Verfasser (dabei Rede zur Geschichte des Schützenvereines von Oberpfarrer Leisegang); von Hans-Albrecht Gäbel handschriftlich Prettin 2009; unverlegt