Vorgeschichte
Obwohl antike Städte wie z.B. Rom bereits über eine umfangreiche Kanalisation verfügten und Aborte mit Wasser(unter)spülung besaßen, gingen diese Errungenschaften menschlicher Zivilisation in den mittelalterlichen (Klein)Städten wieder verloren. Die dazugehörenden Sitztoiletten arbeiteten im Allgemeinen nach dem Prinzip des „Plumpsklosettes„, was zur Folge hatte, dass die üblen Gerüche aufstiegen und der Aufenthalt auf dem „stillen Örtchen“ zur Qual geriet. Erst die Erfindung des Syphons und der Wasserspülung brachte Abhilfe. Der wurde von John HARINGTON (1561-1612) 1594 bereits erfunden (ein Klosett mit Wasserspülung in seiner Villa), setzte sich aber erst im 19.Jh durch.
Im europäischen Mittelalter waren in den Städten die Latrinen eher eine Seltenheit und das Nachtgeschirr die Regel. Dabei wurden die Abwässer neben anderer Abfälle über die zu meist engen Straße entsorgt. Die „Rinnsteine“ auf der Straße ermöglichten es den Fußgänger sie einigermaßen unbeschadet zu benutzen und so von Bürgersteig zu Bürgersteig die Straßenseite zu wechseln. Das waren schon notwendige bauliche Maßnahmen um den direkten Kontakt der zumeist körperlangen Bekleidung mit der übel riechenden Kloake zu vermeiden. Diese unzureichenden hygienischen Bedingungen führten auch in der Folgezeit zu zahlreichen Epidemien, wie z.B. auch der Pest.
Auf dem Dorf war es etwas anders, Dünger war wichtig und daher kam das „Dicke“ auch auf den Misthaufen. Diese Misthaufen waren ein begehrter organischer Dünger, auch wen die Verbringung auf die Felder „Schwerstarbeit“ war.
Lochau/Annaburg im 15. und 16. Jh
So war diese Abfallverbringung natürlich auch in Lochau bzw. dem jungen Annaburg für deren Bewohner geregelt. Jedes Gehöft verfügte über seinen „Donnerbalken“ aus dem sich in späterer Zeit das Plumpsklo mit seiner Grube entwickelte.
Anders verhielt es sich aber mit dem Schloss und seiner Bewohner. Viele angebaute Erker an den Schlosswänden, im Hinter- wie im Vorderschloss dienten diesem menschlichen Bedürfnis. Die Abfälle fielen dabei in den Schlossgraben. Da es sich in der Regel dabei um Wassergräben handelte wurden sie darin auch fortgeschwemmt. Schon deshalb war es notwendig die Schlossgräben mit frischem Wasser zu versorgen. Schon zu Zeiten von Friedrich dem Weisen sorgte ein umfangreiches Grabensystem für ausreichenden Frischwasserzufluss.
Zu diesem Grabensystem zählte der Flutergraben der den Schlossteich mit frischen Wasser versorgte, von dem aus dann die Schlossgräben um Vorder- und Hinterschloss einschließlich Schloss- und Neuen Garten versorgte. Der Abfuss war dann über den Teich hinter der Pfarre mit seinem Wehr an der heutigen Torgauer Straße (einst Mühlenstau) erfolgte. Daran schloss sich der Ablussgraben, der spätere „Scheißgraben“ an. Mit dem Bau des Tiergartens, kam dann der Mauergraben der teilweise die Aufgabe des Flutergrabens übernahm und auch noch der Kunstgraben dazu.
Da das Jagdschloss nicht ständig bewohnt war und auch die Anzahl der Bewohner noch relativ gering war, erfüllte dieses System durchaus ihren Zweck, ohne dass es zu nennenswerten Problemen führte. So die Situation im 15. und 16. Jahrhundert.
Auch kann man davon ausgehen, dass die Aborterker am Schloss die dörflichen Bewohner unserer Region dahingehend inspirierten, ihre „Donnerbalken“ entsprechend zu überdachen und ihnen (dem stillen Örtchen) ein wohnlicheres Aussehen zu geben.
17. Jh – Annaburger Bevölkerunganzahl steigt
Die Situation änderte sich aber schlagartig mit der Herverlegung des Soldaten-Waisenknaben-Institutes (Militärknaben-Erziehungsinstitut) nach Annaburg im Jahre 1762. Die am Schloss angebauten Aborterker konnten den Massenandrang der vielen Institutsbewohner nicht mehr bewältigen und verschwanden daher beim Schlossumbau. Dafür wurde am Graben vor dem Vorderschloss eine große „Latrine“ errichtet, die über diesen Graben auch die Menschlichen Fäkalien zu entsorgen hatte.
Auch das in der Abflussrichtung an diesem Graben errichtete Krankenhaus, ließ so seine menschlichen Abfälle über einen hölzernen Anbau am Giebel im Graben entsorgen. Dieses System war sehr schnell an seine biologischen Grenzen angekommen und führte so zur Verschlammung der Gräben und Seen.
Die Gewässer in und um Annaburg hatten sich so zum Ende des 18. Jh. von Fließgewässern hin zu stehenden Gewässern vor beginnender Verlandung verändert. Einzig der Neugraben war noch intakt. Er trieb eine Reihe von Mühlen an, deren Staustufen wegen des niedrigen Wasserstandes immer zu Rechtsstreitigkeiten und Außereinandersätzungen vor allem mit der Floßkommission führte. Obwohl die Schlossgräben letztmalig 1780 umfangreich beräumt wurden, waren die Gräben vor allem wegen der in sie mündenden Abtritte extrem verschlammt und lieferten Nahrung für Teichrohr und anderen Wasserpflanzen was zum entsprechenden Verlandungsprozess beitrug. Betroffen waren neben dem Schlossgraben, der Kunstgraben, der Schlossteich, der Mauergraben und der Teich hinter der Pfarre.
Der viele Unrat, vor allem aus den Abtritten führte neben seinem Gestank zu gesundheitlichen Problem, vor allem sind die vielen Ruhrerkrankungen darauf zurückzuführen. Sie gaben aber auch neben der kleinbäuerlichen Viehhaltung im Ort der Anophelesmücken ideale Brutbedingungen. Diese Mückenart war für das „Sumpffiebers“ einer auch tödlichen endenden Erkrankung, heute als Malaria bekannt, verantwortlich. Dabei handelte es sich in der Mehrzahl der Fälle autochthoner (einheimischer) Malaria um Malaria tertiana (Anderntagsfieber) einer schwächeren Form der Malaria, doch konnten prinzipiell auch die Erreger der Malaria quartana (Drittagsfieber) und Malaria tropica (Gallenfieber) von einheimischen Anophelesmücken übertragen werden. Diese Zustände, vor allem aber auch die Lage und des baulichen Zustandes des zum Institut gehörigen Krankenhaus direkt am Schlossgraben gelegen unterhalb der Schlossbewohnerabtritte, führte zu einer hohen Sterbensrate unter den erkrankten Institutsinsassen.
Anophelesmücke - Sumpffieber Malaria übertragende Mücken werden vom menschlichen Körpergeruch angelockt. Allerdings genügen die von der Haut abgegebenen Geruchsstoffe allein nicht für eine zielgenaue Landung der Blutsauger, berichten jetzt amerikanische Biologen. Weibliche Mücken der Art Anopheles Gambiae lauern ihren Opfern meist im Innern von Wohnräumen auf. Erst wenn sich dann durch die Gegenwart eines Menschen der Kohlendioxidgehalt der Luft erhöht hat, steuern sie einen Landeplatz auf der Haut an. Je nach Art und herrschenden Temperaturen verwandeln sich die Larve nach 4 - 5 Tagen, allenfalls auch erst nach mehreren Wochen, in eine Puppe. Bis zu 100 Anopheles Gambiae-Larven können häufig in besonnten, aber trüben Wasseransammlungen angetroffen werden. Das Puppenstadiums dauert ein bis vier Tage, dann bricht die Haut der Puppe auf und die Anophelesmücke ist da.
Der Institutsarzt Justis erkannte den Zusammenhang zwischen dem hohen Krankenstand unter den Annaburger Zöglingen im MKI und dem Vorhandensein des Abtrittes vor dem Vorderschloss. Er kämpfte daher in aussichtsloser Angelegenheit für ein neues Krankenhaus oder wenigstens die Verlegung der Latrine. Nur kurzzeitig konnte er wenigstens den Standort der Latrine verändern – Bestand hatte dieser kleine Erfolg aber nur zu seiner Lebzeiten, wie wir dem „Gründler“ entnehmen können:
Etwas anrüchig zwar, doch für den Annaburger nicht ganz uninteressant, ist eine Angelegenheit, welche in der letzten Zeit (1820) des Tettau’schen Direktorats viel Streusand kostete, die Latrine vor dem Vorderschlosse betreffend. Dieselbe hatte früher dicht oberhalb des Krankenhauses über den Graben gelegen, war jedoch Anfang des Jahrhunderts auf Betreiben Justis, „der ehemals alles dirigierte“, weiter hinauf verlegt worden (siehe Plan 1802). Sie lag jetzt oberhalb der Schlossbrücke, den Augen aller sichtbar, über den grade hier damals sich teichartig erweiternden, nur langsam fließenden Schlossgraben. Die Folgen braucht man nicht erst zu schildern, sie erscheinen umso schrecklicher, wenn man hört, dass die öfter hierhin kommenden Schweine den seichten Teich bis auf den Grund aufzuwühlen pflegten, und dass das nahe Brauhaus das Wasser zum Brauen häufig eben diesem Schlossgraben – wenn auch etwas weiter flussaufwärts – entnahm. Zudem war diese Pfütze die einzige Stelle, wo bei Feuersgefahr Wasser für die am Markt liegenden Gebäude zu erlangen war. Man kann sich nur wundern, dass dieses Übel jahrelang unbeanstandet blieb. Erst im Jahre 1819 wurde der Ort Annaburg dagegen vorstellig. Ein Schreiben, unterzeichnet „die Local-Polizei-Behörde daselbst, Johann Gottfried Polster,“ schilderte dem Landratsamt in Torgau den ärgerlichen Zustand in sehr energischer Weise. Neben den oben angeführten Umständen hob er hervor dass die erwähnte Örtlichkeit hart an der hier vorbeiführenden Poststraße liege – eine bedenkliche Nähe, die nach einem späteren Bericht sogar die Durchreise des Königs in jenem Jahr sich bemerklich gemacht hat. Mit Recht sah es auch die Sittlichkeit dadurch gefährdet, dass sich diese Anlage „schon in einer Entfernung von 400-500 Schritten mitten im Orte Annaburg in einem der Moralität hohnsprechenden Prospekte“ zeigte, „der“, wie sich der Schreiber höchst drastisch ausdrückt, als das Wahrzeichen des Orts sowohl als das Denkmal der früheren Polizei-Verwaltung gelten kann.“ Trotz des geharnischten Schreibens wurde der „Skandal“ so schnell nicht beseitigt. – Die Verlegung dieses “höchst polizeiwidrigen“ Abtritts veranlasste zuvörderst lange Verhandlungen. Der alte Justi wollte das Lokal durchaus nicht wieder in die Nähe des Lazaretts gerückt wissen, und der Domänenpächter Lüdersdorff geriet außer sich, als man es ihm noch näher an sein Malzhaus heransetzten wollte, denn die Ortsbewohner erklärten, dass sie in diesem Fall kein Bier mehr von ihm nehmen würden. Die Angelegenheit zog sich bis 1821 hin, wo die Kommune von neuem um Verlegung bat, da auf dem Platze die ihr gestatteten Jahr-, Vieh-, und Wochenmärkte gehalten werden sollten, sie aber für deren Besuch fürchtete, „wenn die Geruchs- und Sehorgane des Publikums von diesen Abtritte ferner in Anspruch genommen würden.“ Jetzt erst wurde die unentbehrliche Örtlichkeit an den früheren Fleck, oberhalb des Krankenhauses zurück verlegt, wo er den Augen mehr entrückt war und der auf beiden Seiten verschalte Graben schneller floss. Die früher schon hier befindliche „Stauarche“ oder Schleuse wurde erneuert und sorgte für regelmäßige Reinigung des Wasserlaufs. Auszug aus „Gründler“
Institutsarzt Justis erlebte die „Rückverlegung“ nicht mehr, denn er verstarb an sein Lebensende gekommen rechtzeitig.
Jedenfalls ließen sich die Gewässerzustände ohne Zufluß von frischem Wasser nicht durch weitere Räumung bessern. Die Kanäle wurden schmaler und der am Hinterschloss verlandete 1798 bis auf eine kleine Rinne vollständig. Federführend durch das Militärknaben-Erziehungsinstitut wollte man über den noch vorhandenen Flutergraben vom Neugraben frisches Wasser dem Schlossteich wieder zuführen.
Das hätte aber die Vorflut der Amtsmühle in Annaburg verändert, sie hätte ja weniger Wasser abbekommen. Gegen die Anbringung des notwendigen Fachbaumes protestierte der Mühlenbesitzer Tobias Hohlfeld und führte den Prozess durch alle damals vorhandenen Instanzen. Auch die Annaburger Bevölkerung widersetzte sich den damit immer häufiger werdenden Ausräumarbeiten, den sie als Amtsinsassen als Fuhr- und Handdienste leisten mussten. Sie beriefen sich darauf, dass sie nur zu Dienstleistungen für ein kurfürstliches Residenzschloss verpflichtet seien und nicht für eine „Kaserne„. Sie wurden allerdings noch 1812 abgewiesen und die Leistung musste u.a. auch durch Androhung von Zwangsmittel ihnen abgepresst werden.
Ihr Begehren wurde dann erst mit der „Ablösung“ der Umwandlung der Hand- und Spanndienste in Rent(Geld)werte zu preußischen Zeiten endgültig beigelegt.
Aber die Abwasserentsorgung in Annaburg war damit noch lange nicht geklärt. Dazu bedurfte es noch die Zeit zweier Weltkriege. Die letzten Grundstücke in Annaburg wurden an die zentrale Abwasserentsorgung erst kurz vor der letzten Jahrtausendwende angeschlossen. So lange dienten die „Stillen“ Örtchen außerhalb der Häuser mit ihren größeren oder kleineren Gruben in unserer Stadt noch.
Bernd Hopke
Ortschronist
AnnaOffice©2010-06-25
Quellen
Verein f. Heimatgeschichte u. Denkmalpflege Annaburg (Hrsg.) Jagdschloß Annaburg - Eine geschichtliche Wanderung, Horb/Neckar 1994;
Gründler, E.: „Schloß Annaburg" Festschrift zur einhundertfünfzig-jährigen Jubelfeier des Militär-Knaben-Instituts zu Annaburg, Verlag von Oscar Haebringer, Berlin 1888
Günther Erfurt, „Die Schwarze Elster unser Heimatfluss“; Jessen 2007
Ingetraut Ludolphy; „Friedrich der Weise: Kurfürst von Sachsen; 1463 - 1525“; Leipziger Universitätsvlg 2007
Margot Kathrin Dalitz Dissertation zu Autochthone Malaria im mitteldeutschen Raum Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 2005
Ackerknecht EH: Zur Geschichte der Malaria. Ciba-Zeitschrift 6 (1953) 2058-2065
Eichenlaub D: Malaria in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt 22 (1979) 8-13
Griesinger W: Malariakrankheiten. In: Virchow R (Hrsg.): Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie. Bd. 2, Erlangen, 1864
Virchow R (Hrsg): Handbuch der Speciellen Pathologie und Therapie. Bd. 2, Erlangen, 1864
Anopheles Stechmücke - Überträger der Malaria unter: https://www.malaria.info/anopheles
Römerstadt Carnuntum – Große Therme, rekonstruierte Toilettenanlage
Situationsplan Schlossbereich um 19-hundert – Planung der Gas-Außenbeleuchtung
Ausschnitt einer Karte aus dem 16.Jh. [ca. 1578 ] mit Eintragung des beschriebenen Grabensystems