Jagdorte

Von der Jagd, Veronika, Hirschsprung und andere jagdliche Orte

Der Namensgebende Zeitraum der hier in Frage kommt, beginnt im Hochmittelalter und ist eng verbunden mit der Erstarkung der sächsischen Hausmacht, dem Erstarken der Territorialfürsten in Deutschland. Die Jagd in der Annaburger Heide wurde hier schon ab dem Mittelalter als eine höfisch fürstliche Jagd, als ein Großereignis am Hofe der sächsischen Herrscher zelebriert. Dabei war sie Vergnügen, Selbstdarstellung und wichtiger Bestandteil des höfischen Alltagslebens.

Die Ritterschaft des Mittelalters beschäftigte sich nur mit „kunstvollen“ Tätigkeiten, wie beispielsweise der Kriegs- oder Dichtkunst. Dies galt auch für das höfische Waidwerk, denn einfache Jagdmethoden waren nur Handwerk und daher eines Ritters unwürdig. Den größten Teil des Wildbrets für die höfische Tafel besorgte das Personal. Die Laufjagd auf Hirsch und Wildschwein, die Hetzjagd auf Schwarzwild und Bär waren kunstvoll, also anstrengend und kompliziert. Deshalb wurden sie von den Edelleuten selbst ausgeübt.Im Mittelalter und in der Renaissance schätzte man das seltene und schwer zu überlistende Raubwild noch als besonders wertvoll ein, denn es versprach interessantes Waidwerk. Dazu gehörte das Otterstechen. Für diese Jagd benötigte man Gewässer mit sauberem, sichtigem Wasser. Das gab es aber in der Annaburger Heide nicht, dafür aber Schwarzwild und Hirsche.

Während der Renaissance dachte man wirtschaftlicher. Nun waren Methoden gefragt, die hohe Erträge lieferten. Zu dieser Zeit erfand man in Deutschland das eingestellte Jagen, bei dem man in ­einem mehrtägigen Prozess das Wild aus einem größeren Gebiet mit viel Personal, Netzen und hohen Tüchern – aneinander gereihten, circa drei Meter hohen Leinwänden – in einen kleinen Bereich zusammentrieb. Am Jagdtag wurden dann große Mengen von Schalenwild abgeschossen, wozu noch keine besonders leistungsfähigen Waffen erforderlich waren.Genau diese Jagdmethoden wurden hier in der Annaburger Heide praktiziert, wenn nicht gar hier zuerst ausprobiert und perfektioniert. Das Gelände war dafür wie geschaffen und der Tierbestand dazu war auch vorhanden. Wie heißt es in den Quellen:

„zu der Zeit der sächsischen Kurfürsten war die alte Lochauer Heide ein wildreiches Jagdgebiet. Als die ergiebigsten Jagden finden wir Verzeichnet: 1618 am 03.08. mit 383 Stück, darunter 248 Hirsche; 1630 am 29.11. mit 365 Stück und 1654 am 06./07.02. mit 537 Stück, davon 339 Wildschweine. "

Nach Aufhebung des feudalen Jagdrechtes und deren Kommerzialisierung ging der Wildbestand in der Annaburger Heide drastisch zurück. Dieser Rückgang erfolgte Hand in Hand mit dem Rückgang der Baumbestände durch eine übermäßige Holznutzung.

Dennoch, die Jagd hat die Annaburger Heide geprägt, darüber geben noch heute viele Bezeichnungen forstlicher Orte, aber auch Bezeichnungen von Waldwegen Auskunft. Bis zurück ins Mittelalter lassen sich einige Bezeichnungen zurückverfolgen. Halten wir uns dabei zuerst an die bei Otto Heintze „Annaburger Heide“ aufgeführten Orte.


Veronika in älterer Zeit Fronika

Bei Otto Heintze erfahren wir:

In Höhe des Silberdammes, etwa 1 km von der Torgauer Straße entfernt, stand bis in die vierziger Jahre des vorigen Jahrhundert eine Art Heiligenbild, das die Sage von dem Schweißtuch der heiligen Veronika darstellte. Es ist wahrscheinlich gestohlen worden, und der Volksmund bezeichnet noch heute diese Stelle, an der das Bild gestanden hat, als ’Vronidickicht’.“

Die heilige Veronika, oder besser das Schweißtuch der Veronika war einst eine der kostbarsten und am höchsten verehrten Reliquien der Christenheit und befindet sich heute in einem Tresor im Veronikapfeiler, einem der Vierungspfeiler des Petersdoms in Rom. Die anderen drei Pfeiler der Vierung enthielten andere bedeutende Reliquien, die einmal im Jahr zur Verehrung gezeigt wurden. Bis ins 16. Jahrhundert wurde das Motiv als Andachtsbild, Buch- und Tafelmalerei weit verbreitet. Aber Veronika mit seiner altgriechischen Herkunft, der Name stammt von dem griechischen Namen Pherenike ab und bezieht sich auf die Wörter „nike“, was übersetzt „der Sieg“ bedeutet und auf „pherein“, was übersetzt „bringen“ bedeutet. Also Veronika bedeutet „die Siegbringende“! Entsprechend wurde auch der Name volksetymologisch als Zusammensetzung aus dem lateinischen vera (wahr) und dem altgriechischen εικών eikōn (Bild, Zeichen) als „wahres Bild“ gedeutet. Damit verbunden wurde die heilige Veronika die Schutzheilige der  Pfarrhaushälterinnen, Wäscherinnen, Weißnäherinnen, Leinenweber und -händler; bei schweren Verletzungen; gegen Blutfluss; für einen guten Tod. Ob die Stelle im Wald deshalb so benannt wurde?

Sei es wie es sei, „Fronika“ hieß dieser Ort schon auf der 1556 erstellten Waldkarte der Lochauer Haide. Auf einer Jagdkarte Anfang des 17.Jh. wird der Ort als „Haid und Häußlein anbey an der Veronika genannt“ benannt. Ein Hinweis dass sich zu dieser Zeit zumindest eine Schutzhütte hier stand. Auf der Jagdkarte von 1633 wird die gleiche Stelle als „Bey Veronica“ genannt, gleichfalls mit der Darstellung eines Hauses versehen. Auf den Karten des 18. Jh. liegt die „Fronika“ mit einem Gebäude dargestellt an der Poststraße kurz hinter der ersten Postsäule von Annaburg aus in Richtung Koßdorf.

Sieht man sich diese alte Karte richtig an, bemerkt man dass es sich bei der „Fronika“ um den Ort handelt wo bei der eingestellten Jagd, die Schützen auf das Wild warteten um es am Ende der Treibjagd zu stellen. Abschlachten könnte man es wohl eher nennen.

Hirschsprung

Der „Hirschsprung“ war ein weiterer Ort in der Annaburger Heide der ein vorzüglicher Endpunkt einer Treibjagd aus Richtung Züllsdorf war. Er lag direkt vor einer großen Sanddüne (leichte Bodenwälle) unten wartete die Jagdgesellschaft um die Hirsche abzufangen die in Folge der Treibjagd über die Bodenwelle gesprungen kamen. Es war ein sehr schöner Platz für das grausame Gemetzel, schütze doch die Bodenwelle die Treiber vor einen versehentlich, doch möglichen tödlichen Schuss. Beide Orte hatten ihre Bedeutung bei der Jagd als dessen Endpunkt mit Errichtung und Nutzung des Tiergartens verloren. Die Neuen Jagden waren dann auf den Tiergarten, aber auch in Richtung Forsthaus Brucke (welches aber erst viel später dort errichtet wurde) ausgerichtet. Aber der Hirschsprung und die Fronika blieben als Waldorte noch lange auf den Karten verzeichnet weil beide Örtlichkeiten am viel genutzten Annaburg – Trogauer – Weg lagen.


Am Stallberg

Der Platz „Am Stallberg“ verlor im 16. Jh. seine Bedeutung als Stell- und Endpunkt der Treibjagd entlang dem Jägersteig und geriet dann allerdings auch schnell in Vergessenheit. Dieser Platz war auch für die eingestellte Jagd ein Idealer Endpunkt, da der Jägersteig, der als rechter und linker Flügel bei der Treibjagd diente am unteren kleinen Stallberg vorbeiführte – über diesen wurde der „Lauf“ in Richtung Stallberg geführt, wo die Jagdgesellschaft auf das Wild wartete um es „waidmännisch“ zu erlegen. 

 Wolfgruben

Dieser Ort am Waldesrand nach Züllsdorf zu, unweit des Lochisch-Züllsdorfer- Weges wurde benannt nach einer damals vorherrschenden Wolfsfangmethode. Da der Wolf auch Nutztiere schlägt, wurde er als Feind angesehen. Die offene Viehhaltung, vor allem die Waldweide von Schafen und Schweinen, führte zu Verlusten zahlreicher Haustieren durch Wölfe. Das führte dazu, dass er entsprechend gejagt wurde. Anfänglich durch die unmittelbaren Bewohner der jeweiligen Dörfer. So entstanden die Wolfsgruben in der Nähe von Siedlungen. In den Gruben wurden lebende Köder, etwa ein Schaf, ein Ferkel oder eine Gans ausgebracht. Die Fanggrube wurde mit Stroh überdeckt. Durch die Laute der Tiere in der Grube wurden Wölfe angelockt und dann getötet. Die Wolfsgrube die der Örtlichkeit ihren Namen gab wurde im ausgehenden Mittelalter angelegt und wir wissen nichts über ihre tatsächliche Nutzung. An dieser Stelle entstand später die Züllsdorfer Pechhütte.


Der Umfall

Unweit des Forstmeisterkreuzes lag der so genannte „Unfall“ lesen wir bei Otto Heintze. Auf den alten Karten heißt diese Stelle „umbwurff„.

Er wusste dazu eine interessante Geschichte zu erzählen:

„Hier kam auf einer seiner Jagden August der Starke mit seinem Wagen dadurch zu Falle, dass sich beim Fahren von der Anhöhe das eine Rad vom Wagen löste. Diesen „Umfall“ hatte Kyau, der Günstling des Fürsten, mit Absicht herbeigeführt. Er hatte am Morgen des Jagdtages beim König prophezeit, es würde ihm heute ein Unglück zustoßen. Er schraubt nachher im Walde unbemerkt die Buchse vom Rade des königlichen Jagdwagens los, so dass dieser bei der Weiterfahrt umstürzen musste. August der Stake nahm den Mann, der am Hofe wegen seiner oft derben Witze bekannt war, den schlechten Scherz nicht übel und ließ an der Unfallstelle ein Steindenkmal errichten, das heute vollständig verschwunden ist.“ 

Die Geschichte hat Otto Heintze von Gründler übernommen. Gründler in seiner Institutsgeschichte, wusste sogar zu berichten, dass Kyau, als Generalleutnant und Kommandant der Festung Königsstein 1733 verstarb.

Kyau, eigentlich Kyaw stammt aus dem Strahwalder Zweig der Familie von Kyaw. Mit 16 Jahren trat er als Musketier in kurbrandenburgische Dienste und zog von 1672 bis 1679 in mehreren Feldzügen an den Rhein, in die Mark nach Pommern und Preußen. Er wurde jedoch erst nach dem Krieg in den Rang eines Unteroffiziers befördert. 1684 wurde er in eine Garnison in Berlin versetzt, dort wurde er durch seinen Humor schnell bekannt. Bis 1690 beteiligte er sich noch an Feldzügen nach Ungarn und Frankreich, sowie an der Einnahme von Buda. 1690 wechselte er aufgrund eines drohenden Duells in kursächsische Dienste und folgte dabei Feldmarschall Hans Adam von Schöning. Er kämpfte unter dessen Kommando 1691 bis 1693 am Rhein und 1695 bis 1696 in Ungarn. Nach dieser Zeit wurde er durch seinen Witz schnell am Hof August des Starken bekannt und einer der Günstlinge des Kurfürsten. Durch diese Beziehung stieg Kyaw schnell auf, so wurde er 1698 Oberstwachtmeister, 1704 Oberst der Leibwache, 1710 Generalmajor, 1714 Kommandant des Althann’schen Kürassierregiments und schließlich 1723 Generalleutnant. Bis 1715 nahm er so an verschiedenen Kriegen Seite an Seite mit August dem Starken teil. 1715 wurde er auch zum Kommandanten der Festung Königstein ernannt und entwickelte dabei eine rege Bautätigkeit. Im Jahr 1733 starb er unverheiratet auf der Festung.

Diese Geschichte hört sich gut an – entspricht aber nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Ob es diesen „Scherz“ tatsächlich gab, nun das vermag ich nicht zu sagen, aber wenn ja, dann hat das nichts mit den Ort „Umfall“ in der Annaburger Heide zu tun. Dieser Ort wurde bereits im 16. Jh. so ähnlich als: „am Umwurf“ auch als „umbwurff“ benannt. Also schon 200 Jahre vorher hieß dieser Waldort so ähnlich, warum werden wir aber leider nicht mehr in Erfahrung bringen. Dieser lag aus Richtung Torgau kommend hinter dem Hummelsberg kurz vor dem Ruheberg in Richtung Lochau am damaligen viel genutzten Torgauer-Lochauer-Weg.

 

Bernd Hopke
Ortschronist

AnnaOffice©2020-12-29

 

Quellen:

Otto Heintze „Die Annaburger Heide“; Verlag Steinbeiß; von 1938;

Gründler, E.: „Schloß Annaburg“ Festschrift zur einhundertfünfzig-jährigen Jubelfeier des Militär-Knaben-Instituts zu Annaburg, Verlag von Oscar Haebringer, Berlin 1888

Karte Nachzeichnung (18. Jh):  Lochische und Seydische Heide mit den umliegenden kleineren Wäldern und Gehölzen, 1556, im Sächsisches Staatsarchiv, 12884 Karten und Risse, Nr. Schr 006, F 080, Nr 013;

Karte der Annaburger Heide, 1633, Sächsisches Staatsarchiv, 12884 Karten und Risse, Nr. Schr 003, F 044, Nr 001;

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