Spilkebrüder

Der Pfeifenklub zu Prettin


Unsere Ur-Urgroßväter kannten ja nicht nur keine Handys sondern zu ihrer Zeit gab es weder Kino noch Rundfunk oder Fernsehen. Auch die Autos steckten noch in den Kinderschuhen, Entfernungen ab 10 km waren schon kleine Reisen und Wittenberg ohne Übernachtung gar nicht zu besuchen. Die Arbeitende Bevölkerung kannte außen den Sonntag ohnehin kaum Freizeit. Und auch dieser war mit dem Kirchbesuch wo man mit der guten „Sonntagsausstattung“ hinzugehen hatte damit schon zur Hälfte ausgefüllt. Ab er für die Handwerksmeister Stadtbauern in Prettin, die entgegen ihrer Knechte und Gesellen die Schlüsselgewalt zu ihren Häusern besaßen, für diese Bevölkerungsschicht gab es schon so was wie freie Zeit. Diese schlossen sich in Vereinen oder Klubs zusammen und pflegten dort Unterhaltung, Geselligkeit und Humor.

So kam es, dass 1882 zwanzig betuchte Bürger der Stadt Prettin, Kaufleute, Handwerker, Bauern und Beamte, den Entschluss fassten einen Rauchclub zu gründen. Der Verein erhielt den Namen „Spilke“ mit dem Vereinszeichen eV. Aus Klublokal wurde die Gaststätte „Drei Rosen“ in Prettin gewählt. Um der Sache einen geheimnisvollen und besonderen Reiz zu geben und weil man es nach den preußischen Verordnungen ohnehin musste, erhielt der Verein auch eine Satzung. Entsprechend Paragraph 1 wurde die Mitgliederzahl des Rauchklubs auf 20 Mitglieder beschränkt, die auch nur durch ihren Tod wieder ausscheiden konnten. Mitglied konnte nur werden wer auch (nach §2) wer auch verheiratet war. Einmal die Woche am Donnerstag war Klubabend, an dem jedes Mitglied verpflichtet war zwei Pfeifenköpfe Tabak zu rauchen. Die damaligen Pfeifen bestanden aus einem 1 m langen Pfeifenrohr mit langem biegsamen Mundstück und einem meist großer Pfeifenkopf aus Porzellan oder Keramik. Laut Satzung (§3) mussten die Töchter des Wirtes die Pfeifen anschließend reinigen. Die teerhaltigen Rückstände in den zu reinigenden Tabakspfeifen hatten einen ausgesprochen unangenehmen Geruch und bereiteten den Mädchen so machen Verdruss und Kummer. Jeder der Aufnahme begehrte musste einen handschriftlichen Antrag mit seiner genausten Personenbeschreibung einreichen (§4 der Satzung). Er lief Gefahr auch ohne Angaben von Gründen durch die „Spilkebrüder“ abgelehnt zu werden (§5). Dem neu aufzunehmenden Mitglied (er wurde Novize genannt) wurde eine längere Probezeit auferlegt. Ihm wurden dabei auch Aufgaben gestellt, die jeweils durch drei Mitglieder (§6) gewissenhaft zu prüfen war. Überliefert ist z.B., dass ein Novize auferlegt wurde einen schweren Schrank (Eisschrank – Schrank in dem mittels Eisblöcken die Lebensmittel gekühlt wurden) aus seiner Dille zu entfernen hatte, damit er bei Heimkehr von den Klubabenden keinen Schaden erleidet.

Äußeres Erkennungszeichen der „Spilkebrüder“ waren ihre gleichmäßig gearbeiteten bunten Mützen, die viereckig waren und an jeder Ecke eine Quaste trugen.

In den Sitzungen wurden alle Ereignisse der Stadt durchgehechelt, wobei jedem „Spilkebruder“ größte Verschwiegenheit auferlegt wurde. Natürlich trieb man viele harmlose Späße und erzählte saftige Witze. Wegen der Verschwiegenheit ist ja leider nicht viel überliefert, aber einer soll auch erzählt haben, dass er eines Nachts durch einen Einbrecher geweckt wurde, der sich bemühte, seinen Schreibtisch zu öffnen. Er erzählte, dass er bei dem Anblick laut lachen musste, wobei sich der Einbrecher mächtig erschrak aber dennoch unverfroren fragte: „Warum lachen Sie?“ Er antwortete ihm: „Weil Sie bei Nacht, mit falschem Schlüssel und unter Gefahr dort Geld suchen, wo ich bei Tag mit dem richtigen Schlüssel und ganz gefahrlos gar keines finde!“

In jedem Jahr wurde ein „Eßball“ veranstaltet, an dem aber nur die 20 Mitglieder mit ihren Frauen teilnehmen durften, alle anderen Familienmitglieder hatten keinen Zutritt. Während des Festessens konzertierte eine 30 Mann starke Kapelle, die aus Lehrlingen der Prettiner Stadtkapelle bestand, welche keine Vergütung bekamen, sondern noch Lehrgeld zuzahlen mussten, weil sie hier vorspielen durften. Einzig allein dem Musikdirektor wurde ein Entgelt gezahlt. Nach dem Essen gab es Tanz. Eingeleitet wurde er durch eine Polonaise, wozu jeder „Spilkebruder“ seine lange Pfeife in Brand steckte, welche dann durch die Frau getragen werden musste.

Ein besonderer Höhepunkt im Klubleben bildete die Aufnahme eines neuen Mitgliedes, da ja nur durch den Tod eine Neuaufnahme eines „Spilkebruders“ stattfinden konnte. Während der Aufnahmezeremonie trugen alle Mitglieder eine schwarze Maske, dem Novize wurde, nachdem man ihm erst längere Zeit im Vorraum warten ließ, ein weißes Laken übergehangen.

So ausgestattet wurde er in eine große hölzerne Waschwanne gestellt. Der Raum wurde nur spärlich mit zwei mit Spiritus gefüllte Teller, die auf einem Tisch aufgestellt waren und so den Raum in ein magisches Licht tauchten, beleuchtet. Bis zu Beginn der Aufnahmerede gaben alle herum stehenden Mitglieder ein dauernden Brummton von sich.

Der Vorsitzende, der in schwarzer Robe und Barett bekleidet war, verlas nach ein paar einführenden Worten die Paragraphen der Vereinssatz, die der Novize mit einem dreimaligen lauten „Ja“ anerkennen musste. Zum Abschluss wurde er mit einer Gießkanne voller Wasser übergossen. Nun durfte er auch das Laken abnehmen und bekam eine neue Pfeife mit einer

im Pfeifenstiel geritzte „Nr. 20“ übergeben. Die Besonderheit dabei, jeder Neuling fing mit der Nummer 20 an und rückte dann weiter auf (in der Zahlenfolge rückwärts), wenn der nächste Novize aufgenommen wurde.

8Da die „Spilkebrüder“ so viel Geheimniskrämerei betrieben, so zogen sie die Neugierigen erst recht damit an. Vor allem die Kinder der Mitglieder wollten insgeheim einer solchen Feier zu schauen, was ja offiziell unmöglich war. Aber Kinder sind ja erfinderische. Als wieder einmal eine Neuaufnahme stattfinden sollte, beschlossen die Kinder des Gastwirtes und andere sich heimlich in die Hinterstube neben dem Vereinszimmer einzuschleichen und durch das Oberlichtfenster der Vereinstür zuzuschauen. Dazu benutzen sie einen Tisch mit Stuhl auf den sie hinauf kletterten. Als nun die Taufe vorgenommen wurde, ging unerwartet die Tür auf, und alle Kinder stürzten mit lautem Geschrei in den Festraum. Was nachher kam, kann sich jeder selbst denken.

Wurde dem Vereinswirt ein Kind geboren – dieses Ereignis kam 15-mal vor, dann nahmen auch alle „Spilkebrüder“ am Festschmaus teil. Beim 15. Kind stiegen einige „Spilkebrüder“ einander auf die Schulter, bis sie die Decke erreichten und die Jahreszahl anschreiben konnten.

So vergnügten und amüsierten sieh unsere Ur- Urgroßväter.

(Frei nach einem Zeitungsartikel aus dem Schweinitzer Heimatkalender von 1938) 

Quelle
Nach einer Geschichte aus dem Schweinitzer Heimatkalender von 1938

Annaburg©2022-03-07