Russlandreise 1836

Reisebericht von Magister Fürchtegott Buch aus dem Jahre 1836


Von seiner Russlandreise 1836 berichtet Oberpfarrer Buch in seiner Chronik folgendes:

"Ich, der Schreiber, trat in dieser Beziehung eine Reise nach der Kaiserstadt des Nordens, nach St. Petersburg an, und nahm den Weg dahin über Merseburg, Halle, Magdeburg, Boitzenburg, Hamburg, Lübeck, Travemünde. Daselbst bestieg ich das Dampfschiff Alexander, durch schifften die Ostsee mit günstigen Winde und landeten nach 80 Std. in Kronstadt und nach 2 Std. in Petersburg. Daselbst verweilte ich 6 Wochen, sah, außer der Riesenstadt, die kaiserl. Lustschlösser Pavlows, Zarskoje Selo, Petershof auch die finnische Schweitz bis Joxa, und kehrte bereichert an Menschen „Kunst“ und Weltkritik und an herrlichen Erinnerung wohlbehalten und gestärkt am Körper auf dem Dampfschiff „Nicolas, Kap Side“ in den Schoß der harrenden Meinigen binnen 11 Tage zurück. Auf der Rückreise besuchte ich noch die Städte Lauenburg, Lüneburg, Celle, Braunschweig, Halberstadt, Wolfenbüttel, Bernburg und ging über Halle, Delitzsch, Düben nach Prettin zurück.
In Petersburg ist Pracht mit Geschmack – Glanz mit Hoheit – Reichtum mit Wechsel.
Das Ganze mit der Würde, dem Edlen und Schöne der vollendeten Kunst des Zeitalters und den äußersten Bau und in der Verzierung der Geräte der meisten Palästen gezeigt.
Imponierend und doch zugleich auch gemütlich entsprechend ist der (?) der russischen Kaiserpaläste für den sinnigen Beschauer / die in sonderlich, welche Maria Feodorwna, Mutter des Kaisers, und der wohl. Alexander bewohnt hat. Kameno = Goldschlagen, der Winterpalast liegt an dem herrlichen Newa Strom mit seinen beherrschenden Blick auf die Festung, zahllose Paläste, Kaffeedielen, (?), Peter-Stele, und der ab - und zugehenden Schiffen und deutsche Barken, Equipagen, auf und nieder wogende Volksmassen aus allen Provinzen."

Aus einer anderen, von Oberpfarrer Leisegang verfassten Handschrift erfahren wir etwas mehr über diese zu damaligen Zeit einmalige und vor allem weiten Reise eines Bürgers von Prettin. Zu dieser Zeit konnte man noch nicht mal von Prettin aus mit der Postkutsche seine Reise antreten, sondern man mußte zuvor nach Annaburg sich bringen lassen um dort die Postkutsche zu besteigen. Die Fahrpost von Annaburg über Prettin nach Torgau wurde erst 1842 durch die preußische Post eingerichtet.

"Aus der Enge in die Weite gingen nicht bloß die Gedanken des damaligen Prettiner Oberpfarrers. Ihn selbst trieb es in die Welt hinaus, um seine Kenntnisse durch den Besuch fremder Länder zu erweitern. Während der Bürgermeister der Stadt, Herr Flachs, und der Gerichtsamtmann, Herr Patzschke [Der Gerichtsamtmann Patzschke starb im September 1838 allgemein als achtbarer Pflege bürgerlicher Gerechtigkeit betrauert infolge Überarbeitung in seiner Amtstätigkeit in der Blüte des Mannesalters.], im Juli und August 1835 zu einer Kur nach Karlsbad reisten, trat der Oberpfarrer im Juli des genannten Jahres eine Reise nach Petersburg an.
Über Halle, Magdeburg, Hamburg, Lübeck ging die Reise mit der Bahn bis Trawemünde und von dort mit dem Dampfschiff Alexander nach Petersburg durch die Ostsee, zunächst bis Kronstadt in 80 Stunden und von da bis Petersburg in 2 Stunden. Nach sechs wöchentlicher Abwesenheit, wovon 2 Wochen auf den Aufenthalt in Petersburg kamen, kehrte er auf dem Dampfer Nikolas zurück und besuchte auf der Rückreise die Städte Lauenburg, Lüneburg, Celle, Braunschweig, Halberstadt, Wolfenbüttel, Bernburg, Halle, Delitzsch, Düben. Über Petersburg schreibt er: 'Welche Schätze sind hier angehäuft! Vereinigt sind Pracht mit Geschmack, Glanz mit Hoheit, Reichtum mit Würde und alles mit dem Edlen und Schönen der vollendeten Kunst des Zeitalter im äußeren Bau und in den Verzierungen und Geräten der meisten Paläste. Die Kaiserpaläste findet der Beschauer imponierend und zugleich das Gemüt ansprechend besonders die vom Kaiser Alexander und der Kaiserin Mutter Maria Feodorowna bewohnten. Der Winterpalast an der Newa, die zahllosen andern Paläste in und um Petersburg, die Kathedralen, Denhmäler, die Brücken, die Schiffe und Barken auf dem Strome, die Equipagen auf den Straße, die auf und abwogende, vielsprachige Menschenmenge aus allen Provinzen des Riesenreiches in ihren bunten, verschiedenartigsten Trachten, die nächste Umgebung Petersburg bis in die finnische Schweiz, das alles hinterließ dem Besucher eine unauslöschlichen, tiefen Eindruck unbeschreiblicher Herrlichkeit und Größe, sodaß die Heimatstadt ihm bei seiner Rückkehr vorkam wie ein verkleinertes Bild der früheren erst vor wenigen Wochen verlassenen."

Ausführlich schildert er den griechischen Gottesdienst, dem er in 14 verschiedenen Sprachen abhalten sah und hörte und rühmt seine majestätische Einfachheit und gewaltige Wirkung auf die Einbildungskraft der Besucher desselben.

"Vor Gott sind alle gleich! Der Eindruck wird hervorgerufen, wenn alle durch denselben Eingang den weiten Kirchenraum betreten, um dort, wo es weder Bänke noch unterscheidende Plätze gibt, vor Gott niederzufallen. Aller Blicke sind auf das Allerheiligste, das Sanktuarium, das Asyl der göttlichen Geheimnisse gerichtet. Die überreich mit Gold, Silber und Edelsteinen wie mit Malereien, Heiligenbildern geschmückte, hohe bis an das Deckengewölbe reichende Wand, der Ikonostas, unterstützt die Wirkung des Geheimnisvollen auf die Einbildungskraft der Menge der Gläubigen, die keinen Zutritt zum Allerheiligsten haben, in dem hinter den hohen Schranken von dem Priester die göttlichen Geheimnisse gefeiert werden, die dem Uneingeweihten verborgen sind. Nur die Stimme des Dieners des Altars wird wie aus weiter Ferne tönend gehört, kein Auge sieht seinen Ceremonieendienst. In größeren Zwischenräumen ruft er die Andächtigen zum Gebet und zeigt ihnen den Gang der Opferhandlung an. Nach Vollendung des Meßopfers tut sich die Tür des Allerheiligsten wie von unsichtbarer Hand geöffnet auf und heraus tritt der Priester mit dem Sakrament, das er der Verehrung der versammelten Gläubigen aussetzt. Er erscheint in einem von Gold, Silber und Edelsteinen strotzenden langen Meßgewande aus kostbarem Stoff, ähnlich der alttestamentlichen, hohenpriesterlichen Kleidung im Salomonischen und später dem noch schöneren und prachtvolleren Herodianischen Tempel. Das lange, bis auf die Schultern herabfallende Haar des Piesters ist in der Mitte gescheitelt, der lange Bart ist zweispitzig. Haar und Bart sollen die Christus-, Moses- und Aarons Köpfe symbolisieren. Beim Heraustreten aus dem Allerheiligsten grüßt der Priester die Versammelung mit dem Gruß: "Der Herr sei mit euch". Der Gesang beschränkt sich auf den Gesang eines Männerchors von gewöhnlich nur 6 Männern. Priestergewandung, Rauchfaß, Heiligenbilder, Lichter in Menge u.a. Erinnern an die gottesdienstlichen feiern der römisch-katholischen Kirche im Abendlande, nur ist alles dort im Osten, in der morgenländischen Kirche einfacher gehalten. - Gegen Andersgläubige ist die griechisch-katholische Kirche duldsam. Der Fremde wird als ein Glied der Gemeinde angesehen, ohne daß man von ihm die Zeichen der Andacht und Gebräuche des griechisch-katholischen Gottesdienstes erwartet. Er steht aufrecht, während alle andern knieen und ist nicht verpflichtet, sich nach den Gebräuchen der andern um ihn her zu richten. Wiederum ehrt der Russe die religiösen Anschauungen und Gebräuche der andern, die nicht seiner Kirche angehören. Er betritt in tiefster Ehrfurcht die Kirchen der andern Konfessionen und Religionen. Die Popen, die griechisch-katholischen Priester besuchen fremde Kirchen und verheiraten auch ihre Töchter an protestantische Geistliche. Das Cölibat, die Ehelosigkeit der Priester, besteht in der griechisch-katholischen Kirche nicht wie in der römisch-katholischen. Die Duldsamkeit gegen Andergläubige ist in der russischen Kirche rühmenswert. Der russische Kaiser Peter der Große hat dazu den Grund gelegt damit, daß er Männer aus allen Ländern, Religionen und Konfessionen in sein Reich rief, wie er sie gerade zur Vorbereitung der Kultur in seinem Volke brauchen konnte. Von der Reformation zu Luthers Zeit blieb Rußland vorläufig unberührt wohl vor allem deshalb, weil der Anlaß zur Reformation, die Losreißung vom Papst und seiner Oberherrschaft wegfiel. Die Loslösung von Rom und seinen Ansprüchen auf Oberherrschaft war ja für die morgenländischen Kirchen schon viel früher erfolgt, bereits um das Jahr 1000 n. Chr. Erst in nachlutherischer Zeit kam Luthers Lehre durch ausländische Kaufleute und dann durch König Christian III. Von Dänemark nach Rußland, den der Zar von Rußland um Enrsendung tüchtiger Handwerker, besonders Buchdrucker, bat und der die Gelegenheit wahrnahm dem Zaren den von ihm angenommenen und in seinem Reiche verbreiteten evangelischen Glauben aufs beste zu empfehlen. Doch russische Zaren verboten die Lutherlehre in ihrem Reiche und dies Verbot hat bis heute noch gewirkt. Die in Rußland heute bestehenden evangelischen-lutherischen Gemeinden, von denen 1835 der Oberpfarrer Buch eine mit 24 bis 26.000 Seelen und 2 tüchtigen Geistlichen in Petersburg vorfand, sind heute dem Untergange nah und bedürfen der Hilfe der lutherischen Kirche in der ganzen Welt. Nach der Überzeugung des Superintendenten Meyer in Moskau, die er auf dem erst im vergangenen Jahre in Eisenach abgehaltenen lutherischen Weltkonvent aussprach, wird der lutherischen Kirche in Rußland geholfen werden und der evangelisch-lutherische Glaube auch der rechte Glaube des großen russischen Volkes werden, durch den allein es aus allen Wirren und Nöten der Zeit gerettet werden kann."
Bernd Hopke
Ortschronist
Quellen:
„Chronik von Prettin und Lichtenburg angefangen von M.F.A.F. Buch, Oberpfarrer
(Magister Friedrich Adolph Fürchtegott Buch) im Jahr 1833“; von Hans-Albrecht Gäbel handschriftlich 2009; unverlegt;
Leisegang; „Die Geschichte der Stadt Prettin und ihrer nächsten Umgebung 
dargestellt von Superintendent Leisegang - Kapitel 1. In ältester Zeit. Aus einer von Superintendent Buch 1833 begonnenen Chronik Prettins; “; Hans-Albrecht Gäbel maschinenschriftlich 2015; unverlegt;

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