Die Arznei aus Annaburg

 – anno 1579


ps_20161018220857Wochenlang schon wälzt sich die Schulzin von Bethau auf ihrem Lager im Fieber. Ein junges Mädchen, die Margarethe Veit aus dem Nachbarhause, stand fast ununterbrochen an ihrem Bett. Die Schulzin selbst war Witwe und ihren einzigen Sohn, den Joachim, hatte sie vor drei Jahren zu reichen Verwandten ins Braunschweigische geschickt. Dort sollte er sich eine reiche Frau holen, denn die Schulzin war die reichste Frau im Dorfe und wollte gern noch mehr. Dem Joachim aber stand der Sinn nach Margarethe und auch sie schien ihm zugetan. Doch sie war arm und lebte mit ihrer Großmutter in dem heruntergekommenen Hause. Sie konnten ihr Leben nur gerade so fristen. Solch eine Schwiegertochter wollte die Schulzin nicht und duldete daher auch nicht, dass sich ihr Junge mit ihr treffen konnte. Nun lag sie krank und ihre Mägde kamen kaum an ihr Lager; war sie doch immer sehr streng gewesen. Die Margarethe aber konnte es nicht übers Herz bringen, die Schwerkranke ohne rechte Pflege zu lassen. Der Kranken war ihr ehemaliger Hochmut schon leid, und im Stillen wünschte sie sich eine so liebevolle Schwiegertochter. Margarethe hatte nun erfahren, dass die Kurfürstin Anna auf ihrer nahen Burg in Lochau weilte. Sie unterrichtete die Schulzin davon und erbot sich, dorthin zu gehen, um sie um eine Arznei zu bitten. Bereitete doch die Landesmutter viele Heilmittel in den Lochauer Anlagen und so manche Kräutermischung war schon über die Landesgrenzen berühmt geworden. Die Schulzin freute sich über das Angebot, hegte aber Zweifel, ob die hohe Frau überhaupt ein so geringes Mädchen vorlassen werde und ob das Mädel den Weg durch die einsame Heide wage. In der Morgendämmerung brach Margarethe auf; auf gute drei Wegstunden musste sie gefasst sein. Erst war ihr ängstlich zumute, als noch die Nacht in den Winkeln saß. Bald aber, als die Vögel sangen, machte sich stolzer, starker Wille breit. Mühsam kam sie voran. Endlich erblickte sie den Kirchturm von Lochau und die Annaburg.

dillichzeichnung_17jhBeklommen lenkte sie ihre Schritte nun in den Schlosshof. Würde man sie anhören? Doch eine freundliche Magd sprach sie an und fragte sie nach ihrem Begehren. Sie sprach ihr wieder Mut zu und leitete sie weiter zur Kammerfrau. Diese schickte sofort eine Botin zum Vorwerk, auf welchem die Kurfürstin gerade nach dem Rechten sah. Bald traf die Kurfürstin ein und befragte Margarethe nach der Kranken. ps_20161018184614Margarethe konnte nur ein paar undeutliche Worte stammeln, die Aufregung verschlug ihr die Sprache. Da schlug die Kurfürstin einen Gang durch den Garten vor, um das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen und sie zu beruhigen. Dabei erfuhr Mutter Anna nun die Geschichte der Krankheit und auch von Margarethes Liebe zu Joachim. Nun ließ sie Margarethe zum Essen in die Küche bringen, während sie selbst zum Destillierhaus schritt. Nach dem Essen wurde Margarethe von einem Diener dorthin geleitet. Sie kam vorbei an vielen großen Körben, welche mit duftenden Frühlingsblumen gefüllt waren.

ps_20161017200333Überall standen Schüsseln mit Fetten und eine Menge Krüge mit geheimnisvollem Inhalt. Getrocknete Kräuter ließen einen geheimnisvollen Duft ausströmen. Vier große Öfen mit kupfernen Wasserblasen füllten die Mitte des Saales. Hier überreichte ihr die mütterliche Landesfürstin drei Arzneien mit den nötigen Erklärungen der Anwendung. Nun stellte sie ihr Begehren an Margarethe: zum einen sollte sie über den Verlauf der Krankheit und die Wirkung der Arznei berichten, zum anderen sollte sie die Fürstin den Hochzeitstermin wissen lassen. Dann winkte sie einem Boten, welcher eben nach Torgau sollte, damit er Margarethe ein Stück begleiten konnte. Dankerfüllt schied Margarethe von der Schlossherrin. In dem Moment kam der Kurfürst auf den Hof geritten, und seine Gemahlin bat ihn ein paar gute Obstbäume für die baldige Hochzeit bereitzustellen (Kurfürst August hatte in Lochau eine große Baumschule angelegt und betrieb selbst eifrig Zucht).

zeilekartebethauFreudig eilte Margarethe wieder ihrem Heimatdorfe Bethau zu, so dass der Bote kaum mithalten konnte. Dort fand sie ihre Großmutter am Bett der Kranken. Schnell reichte sie ihr einen Trunk gegen das Fieber und die Schwäche. Stolz berichtete sie von ihren Erlebnissen. Es war schon spät als die Großmutter ging und Margarethe mit der Schulzin allein war. „Margarethe“, fing die Schulzin an “Ich finde keine Ruhe. Du, die du dich so aufopferungsvoll um mich sorgst, und der Joachim wärt ein schönes Paar. Ich weiß, dass du ihm in den drei Jahren treu geblieben bist. Ich war es, die ihn fortschickte, dass er dich vergessen soll. Was damals mein Wunsch war, ist jetzt meine Strafe. Der Joachim hat nichts von sich hören lassen. Bist du seiner sicher?“ „Seid ohne Sorge!“ antwortete Margarethe und berichtete, dass zwischen kursächsischen Hof und Braunschweig oft Boten unterwegs seien. Einen davon kenne Joachim, und dieser habe ihr berichtet, dass er fest zu ihr halte und im Herbst kommen werde. Erschöpft sank die Schulzin in ihre Kissen und Margarethe konnte sehen, dass sie ruhig schlief. Nun ging es der Kranken täglich besser, und bald war sie wieder bei voller Kraft. Der Sommer verging, und der Herbst kam, und so kam auch Joachim. Überglücklich vernahm er den Sinneswandel der Mutter. So gingen der Kurfürstin Berichte über die Genesung der Schulzin und die anstehende Vermählung zur Fastnacht 1579 zu. Am Abend vor Fastnacht traf ein Wäglein in Bethau ein. Mutter Anna sandte einen Wildbraten, ein Fässlein und sechs Obstbäume sowie viele gute Wünsche zur Vermählung. Das war ein Fest! Denn auch die Schulzin hatte es sich was kosten lassen. Das ganze Dorf war in Bewegung. Alle stießen an auf das junge Paar und auf MUTTER ANNA.