Behinderteneinrichtung

Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche


Wie erlebten Menschen mit geistiger Behinderung in der DDR Bildung und Erziehung? Welche Berufe konnten sie ausüben und welche Unterstützung bot ihnen die Gesellschaft? Wie gestalteten sie ihre Freizeit und welche Betreuungsangebote konnten sie in Anspruch nehmen?

Behinderte Kinder und Jugendliche gelangten erste nach der Lösung der dringlichsten gesundheitlichen Probleme, wie die TBC-Erkrankung auf die Prioritätenliste. Unterschwellig wurde dem DDR-Gesundheitswesen vorgeworfen nicht genug für Menschen mit Behinderung getan zu haben. Förderschulen, damals noch Hilfsschule genannt gab es in den größeren Städten. Die Schüler wurden hier ganztags betreut. Anders im ländlichen Raum. Hier wurden die Behinderten in Wocheneinrichtungen versorgt.

Frau Matzke hat aus ihrer persönlichen Erinnerung die Annaburger Einrichtung beschrieben.

Am 28.09.1973 wurde in Annaburg im ehemaligen Wohnhaus des Lungenarztes Dr. Bucke, eine Einrichtung für geistig und körperlich behinderte Kinder und Jugendliche im Alter von 3 – 18 Jahren eröffnet. 15 Kinder und Jugendliche wurden von 7 Mitarbeiterinnen (im Schichtsystem) von Montag bis Freitag gefördert und betreut. Die ökonomische Versorgung und Verwaltung erfolgte über das Pflegeheim/Krankenhauses (Krankenhaus und späteres Pflegeheim) Annaburg. Die An- und Abreise der Kinder und Jugendlichen aus dem damaligen Kreis Jessen, wurde durch einen Bustransport abgesichert. 
Das Wochenheim war vom 28.09.1973 bis 30.06.1991 eine untergeordnete Einrichtung des Gesundheits- und Sozialwesens, des Rates des Kreises Jessen.
Die medizinische Betreuung und Versorgung unterlag dem damaligen Arzt Dr. Krause (Junior). Später übernahm Dr. Schönfelder (Psychiater) die medizinische Leitung der Einrichtung.
Durch Rekonstruktionsarbeiten im Pflegeheim konnte 1983 die Kapazität des Wochenheimes von 15 auf 25 Plätze erweitert werden. Und war es möglich, die Kinder und Jugendlichen differenzierter in Gruppen einzuteilen.
Das Hauptziel der Förderung lag in der Erziehung zum relativ selbstständigen Menschen, der in der Lage ist, weitgehend sein Leben im Alltag selbst zu gestalten. Das Grundprinzip war die ganzheitliche Bildungs- und Erziehungsarbeit. Die Jugendlichen der 4. Fördergruppe konnten ab 1984 im Dienstleistungsbetrieb Annaburg für wöchentlich 15 Stunden in den Arbeitsprozess eingegliedert werden und leisteten im Rahmen der Arbeitsvorbereitung produktive Tätigkeit. Es wurde ein finanzieller Anreiz in Form einer Arbeitstherapiebelohnung gezahlt.
Die Jugendlichen komplettierten Schnellhefter, die von den Erzieherinnen kontrolliert, gezählt und verpackt wurden. Der Kreisarzt und medizinische Leiter der Einrichtung, Herr Dr. Schönfelder, unterstützte viele Aktivitäten, so zum Beispiel die Rekonstruktion und Erweiterung der Einrichtung, jahrelange erlebnisreiche Feriengestaltungen in den Sommerferien, die Eingliederung der Jugendlichen und sogar die Gestaltung feierlicher Jugendweihen im Haus.
Eine tolle Zusammenarbeit mit unserer Patenbrigade, der Abteilung Ökonomie des staatlichen Forstwirtschaftsbetriebes Annaburg bestand seit 1977. Zu besonderen Anlässen wurden gegenseitige Besuche gemacht und Überraschungen ausgetauscht. Betriebsbesichtigungen (u.a. Samendarre), gemeinsame Wanderungen mit Grillparty und Wildfütterungen im Winter dienten auch dazu, die Umweltkenntnisse zu erweitern.
Die Mitglieder der Kreisjugendkommission des DRK Jessen hatten seit 1981 regen Kontakt zur Einrichtung. Wir fanden es lobenswert, dass es junge Leute in unserer Region gab, die den Behinderten Freude bereiteten und sich mit Fragen der geistigen Behinderung auseinandersetzten.
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wurde die Trägerschaft der Einrichtung im Zeitraum vom 01.07.1991 bis 31.07.1991 vom Landratsamt Jessen, Dezernat Bildung, Kultur und Tourismus übernommen. Ab dem 01.08.1991 bis zum heutigen Zeitpunkt wurde eine Schule für Geistigbehinderte mit dem Träger Land Sachsen-Anhalt, Bezirksregierung Dessau geschaffen. Erstmals gab und gibt es eine Sonderschule für Geistigbehinderte, in der die Schulpflicht gesetzlich verankert ist. Sie befindet sich seither in Holzdorf-Ost und hat eine Kapazität von ca. 50 Schülerinnen und Schülern.
 
Oktober 2019                                  
Im Namen der ehemaligen Mitarbeiterinnen        
Heiderose Matzke
BERND HOPKE
ORTSCHRONIST

AnnaOffice©2021-01-19

 

Quelle

  • Heiderose Matzke in „Das Gesundheitswesen in Annaburg von 1945 bis 1989, Okt.2019 Annaburg; unverlegt;
  • Karin Reihs, gebr. Großmann, Das Gesundheitswesen in Annaburg von 1945 bis 1989, Okt.2019 Annaburg; unverlegt;