Die neuen Häuser vor dem Herzberger Tor
Vor über 120 Jahren wurden die Einwohner der „Neuhäuser“ in den Flecken Annaburg eingemeindet. Über die Entstehungsgeschichte des Ortsteiles Neuhäuser ist leider nicht so viel bekannt. Erstmals finden wir in einer Nachricht aus dem Kirchkopf der ev. Stadtkirche von Annaburg den aktenkundigen Beleg über die Existenz der „Neuhäuser“. Danach sollen sich 1724 die „Neuhäußler vor dem Herzberger Tor … aufgebaut“ haben. Da die neue Siedlung auf ehemaligem Forstgelände entstanden ist und zum Gutsbezirk der Oberförsterei gehörte, gehen wir davon aus, dass die „Neuhäuser“ im Zusammenhang mit der Abdeckung des Arbeitskräftebedarf für die seit 1697 betriebene Flößerei auf dem Neugraben entstanden ist. Hier wurden für die Forstbediensteten die Gesindehäuser auf dem Gelände hinter dem Neugraben errichtet. Eine eigenständige Gemeinde bilden die „Neuhäuser“ zu sächsischen Zeit jedoch nicht.
Auf der ersten gedruckten sächsischen Ämterkarte die 1750 bei A. Schenk in Amsterdam mit „Königl. und Churfürstl. Sächsischen Privilegio“ im Farbdruck erschien, sind die „Neuhäuser“ noch nicht verzeichnet. Wir wissen, dass die Karte auf Grundlage der kartografischen Landesaufnahme von 1715 bis 1735 durch Adam Friedrich Zürner zurückgeht. Das bedeutet lediglich, dass Zürner 1724 in Annaburg mit der kartografischen Aufnahme und der Wegevermessung schon fertig war.
In den Gerichtsakten aus dem Jahr 1754 finden wir die erste verlässliche Nachricht. Danach ereignete sich bei den Neuhäusern vor dem Herzberger Tore ein schrecklicher Mord. Wegen einer kleinen Geldsumme wurde Frau Strauch mit ihren beiden Kindern ermordet. Der Mörder Johann Christian Noack konnte wenig später gefasst und seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Er wurde auf einer Kuhhaut zum damaligen Gerichtsplatz an der Jessener Straße geschleift und durch Rädern hingerichtet – eine der letzten Hinrichtungen dieser Art in unserem Städtlein Annaburg.
1783 erfahren wir, dass in Annaburg Seidenbau betrieben wurde, dazu wurden ca. 400 Maulbeerbäume im Stadtgebiet und auch bei den Neuhäusern angepflanzt. Die letzten Maulbeerbäume aus dieser Zeit wurden in der Nähe des Schießstandes erst kurz nach unserem Anschluss an die Bundesrepublik gefällt. 1814 waren schon 36 Neuhäusler vor dem Herzberger Tor beheimatet. Obwohl die Neuhäusler zur Forst gehörten, da sie im Hausrevier Tiergarten vormals Annaburg gelegenen Königlichen Forst siedelten, gehörten sie zur Annaburger Kirchengemeinde. Hier wurde streng nach dem Stande in Hüfner, Altsasse, Gärtner, Vorstädter und da sie seit 1724 „neu“ dazu kamen – in Neuhäusler unterschieden. Diese Unterteilung finden wir auch in den Dokumenten des Wiener Friedensschlusses von 1816 zwischen Preußen und Sachsen. Danach bestand unser Ort als „Flecken Annaburg“ genannt, „aus 4 Ganz- oder Zweihüfner, der 8 Einhüfner, zusammen mit 16 Hufen der 9 Gärtner, 2 Altsassen, 84 sogenannten Vorstädter, 3 Neuhäuslern und 20 sogenannten neuen Häusern vor dem Herzberger Thore“. Diese 20 waren noch „Unfreie“ hinsichtlich der Besitzverhältnisse am Grund und Boden ihrer Häuser. Das änderte sich in Folge der „Bauernbefreiung“. Durch ein Edikt vom 14. Sept. 1811 wurden die Eigentumsverleihung der Bauernhöfe und die Abschaffung der Naturaldienste in Preußen ausgesprochen. Dazu erfolgte 1816 die Aufhebung der Leibeigenschaft.
1835 wurde das langjährige Floßamt in Annaburg geschlossen. Im Vorfeld wurde die Holzscheitflößerei auf dem Neugraben und der Schwarzen Elster eingestellt. Ein Großteil der „Neuhäuser“ wurde damit im heutigen Sinne arbeitslos.
Für die Neuhäusler änderte sich damit dreierlei. Sie gehörten mit Aufhebung der Leibeigenschaft nicht mehr zum Forst-Fiskus und bildeten nach erfolgter Umstrukturierung der Forstverwaltung zwischen 1816 und 1832 eine eigene Gemeinde „Neuhäuser“. Der Grund- und Boden, auf dem sie siedelten, wurde ihnen zum Kauf angeboten. Nachgewiesen ist zum Beispiel der Kauf des Grundstückes 182, „im Hausrevier Tiergarten vormals Annaburg belegen vom Königlicher Forst mit 45 Quadratruthen Größe, was sich seit mindestens länger als 42 Jahre im ruhigen und ungestörten Besitz des königlichen Haus befunden hat“ – am 29. Januar 1828 für 13 Thaler durch Wilhelm und Caroline Prüfer (1839 – 1855 entspricht 1 preußischer Taler = 7,50 €).
Beruflich mussten sich die Neuhäuser nach Einstellung der Flößerei umorientieren. In den „Neuhäusern“ leben jetzt überwiegend Wanderarbeiter, die vorrangig als Mauerer und Zimmerleute ihrer Arbeit in Berlin nachgehen. Sie nutzten dazu die seit 1848 bestehende Eisenbahnverbindung Falkenberg – Holzdorf – Jüterbog – Berlin.
Durch die Gemeinde Neuhäuser wird 1839 vom „Forstfiscus“ ein Waldgrundstück als Begräbnisplatz erworben. Das ist die Geburtsstunde unseres heutigen Waldfriedhofes.
Die neuen Häuser vor dem Herzberger Tore waren natürlich nicht die Häuser, die heute dort stehen; diese sind erst viel später errichtet worden. Damals standen hier einfache Fachwerkhäuser mit einer Lehm-Stroh-Ausfachung. Das ist auf der 1847 durch Ingenieuroffizier Leutnant von Ebeling angefertigten topografischen Messtischkarte 1:25.000 belegt. Nach dieser Karte wurde die Bausubstanz in Annaburg als „Steinhäuser“ und der Vorstädter und Neuhäuser als „Holzhäuser“ eingestuft. Wir zählen hier schon im Bereich der Neuhäuser Siedlung 52 Wohnhäuser.
Da in Berlin in den Gründerjahren gutes Geld verdient wurde, war es möglich, dass ein großer Teil der heute noch stehenden Häuser in den Neuhäusern (Niedere Straße, Hohe Straße, Holzdorfer Straße und Planweg) von Berliner Maurern und Zimmerleuten, die in Annaburg wohnten, in den Jahren 1885/90 gebaut werden konnten.
1895 hörte die kurze Eigenständigkeit des Ortes „Neuhäuser“ mit der Eingemeindung nach Annaburg auf.
Bernd Hopke
Ortschronist
AnnaOffice©2020-12-29
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