Musikschule

Die Musikschule Max Rohr in Annaburg


Wenn man die geschichtliche Entwicklung unseres Heidestädtchens in den letzten 150 Jahren betrachtet, so gehört in dieser Zeit die Entstehung und Entwicklung der Musikschule Rohr in der Hohestraße 14 in Annaburg dazu.
Der Initiator der Musikschule war Herr Max Rohr ein Sproß aus einer alten Militärmusikerfamilie, der am 12. April 1884 in Annaburg als einziger Sohn von August und Maria, geborene Bornemann, geboren wurde. Sein Vater August Rohr diente als Trompeter beim Kürassier Regiment 4. Er gründete nach seiner Entlassung die Stadtkapelle in Annaburg. Den musikalischen Unterricht erhielt somit sein Sohn Max auch von seinem Vater, der seine hervorragende Musikalität schon in frühester Jugend erkannte und ihn als Geiger ausbildete.
Trotzdem diente auch Max Rohr beim Kürassier Regiment 4 als Trompeter.

Er heiratete schon während seiner Dienstzeit Carola, geborene Eisner, aus Breitenbrunn im Erzgebirge. In der glücklich geführten Ehe wurden die Kinder Heinz, Georg, Hans und Gerd geboren. Die Söhne Heinz, Hans und Gerd erhielten auf eigenen Wunsch die Ausbildung als Musiker im Elternhaus. Der Sohn Georg erlernte den Beruf eines Kaufmanns. Nach seiner Entlassung qualifizierte sich Max Rohr zum Kapellmeister und zog mit seiner Familie nach Annaburg. Anfang der zwanziger Jahre (1923) begann Max Rohr mit der Ausbildung von Musikschülern. Das war die Geburtsstunde der Annaburger Musikschule Rohr.
Zuerst waren es nur wenige Schüler, aber Ende der zwanziger Jahre mit Beginn des Jahres 1928, nachdem die Musikschule baulich erweitert worden war, wurden internatsmäßig 10, dann 20 und in den dreißiger Jahren sogar bis zu 30 Musikschüler jährlich ausgebildet. Diese Schüler erhielten gute Ausbildungen bei Lehrern in den Städten Halle, Torgau, Leipzig und in der näheren Umgebung. In der Musikschule von Max Rohr herrschte ein strenges Schulsystem, was viele gute Musiker hervorbrachte. Die Schule hatte einen guten Ruf und die Studienplätze waren sehr gefragt.
Die Schüler trugen zum Erhalt und für ihre persönliche Ausbildung bei, indem sie zu Tanzveranstaltungen, Konzerten und Familienfeiern aufspielten. Speziell bei den Annaburgern war das sonntägliche Platzkonzert von einer Stunde auf dem Markt sehr beliebt. Mit wohlklingenden Märschen ging es von der Musikschule zum Markt und zurück.
Der 2. Weltkrieg brachte auch der Musikschule Probleme, da ein Großteil der wehrfähigen Schüler zur Wehrmacht eingezogen wurde. Im Jahr 1946 übernahm der 30jährige Sohn und Kapellmeister Hans die Leitung der Musikschule vom Vater Max.

Lothar Max, ein Schüler von Hans Rohr erinnert sich an die Zeit des Bestehens der Musikschule in Annaburg:

Zur Musikschule Rohr kam ich vierzehnjährig im Sommer 1945. Wir hatten nach Kriegsende unser Zuhause in Tetschen-Bodenbach (Decin) verlassen müssen und waren mit einem Transport bis Falkenberg/Elster gekommen. Dadurch wurde mein Ausbildungsweg zum Musiker in völlig andere Bahnen gelenkt. Wir hörten in Falkenberg von einer Musikschule in Annaburg. Mein Vater fuhr mit mir dorthin, und mit klopfendem Herzen klingelten wir am Hause Hohe Straße 14. Ins Musikzimmer geführt, hatten wir eine Weile Zeit uns umzusehen. Ein Klavier stand an der Seite, eine Geige mit Bogen lag, wie gerade aus der Hand gelegt, auf dem Tisch und an der Wand hing ein Porträt des Seniorchefs Max Rohr. Dieser kam dann bald herein, mein Vater trug unser Anliegen vor, und ohne Probleme wurde ich angenommen. Die Musikschule war im Seitengebäude eingerichtet, unten der Probesaal, in dem auch gegessen wurde, im 1. Stock und im Dachgeschoß (das später abbrannte) die Zimmer für die Schüler. Es war alles fast militärisch geregelt, wie es ja ohnehin früher die erste Aufgabe einer solchen Schule gewesen sein mag, Nachwuchs für die Militärkapellen auszubilden. Das Zweite war, als Stadtorchester den Ort und die Umgebung mit Musik zu allen Gelegenheiten zu versorgen. So war es wohl schon zu Zeiten von August Rohr, dem Vater von Max Rohr.
Ich bekam eine Bettstelle und einen Spind zugewiesen. Als erstes musste ein Strohsack gestopft werden. Dann bekam ich von Frau Carola, der Seniorchefin, ein Federbett, weil ja ich selbst keins mitbringen konnte. Der Vormittag blieb mit zum Umsehen und Eingewöhnen. Dann läutete es zum Mittagessen. Es wurde durch eine Klappe in der Küchentür ausgeteilt. An langen Tischen im Probesaal hatte jeder seinen Platz und seinen Hocker. Ich wundere mich noch heute darüber, dass in der damaligen Zeit zu jeder Mahlzeit etwas auf den Tisch gezaubert werden konnte! Meine Mitschüler waren von Anfang an freundlich und nett zu mir. Mit Helmut Stiebritz bezog ich später die "Stube 0". Das war die Notenkammer, die keine reguläre Nummer hatte. Am nächsten Tag wurde ich zum Chef ins Musikzimmer gerufen. Er wusste schon, dass ich bereits als Kind Akkordeon- und Klavierunterricht erhalten hatte. Wir machten uns an das Erarbeiten der "Schlagermappe". Es stand in Aussicht, dass der sowjetische Kommandant bald eine erste Tanzveranstaltung genehmigen würde.
Außerdem hatten wir jede Woche an einem Abend in der Kommandantur (dem Amtshaus) zu erscheinen, wo wir ausschließlich "Walzer von Strauß" spielen mussten, während die Offiziere speisten: Weißbrot, Speck und Wodka. Anschließend bekamen wir auch unser Teil. Man kann also sagen, die Ausbildung war von Anfang an sehr praxisnah.
Allmählich fanden sich alle Lehrlinge und Gehilfen, die noch zu Kriegsdiensten herangezogen worden waren, wieder ein. Hans Rohr, einer der vier Söhne, bekam vom Vater die Leitung der Schule und des Stadtorchesters übertragen, und Frau Annemarie übernahm die praktischen Obliegenheiten. Erwin Dürrschmidt wachte als "Chorführer" über den ordnungsgemäßen Tagesablauf. Der begann um 7.00 Uhr mit dem Wecken. Halb acht gab es Frühstück. Von 8.00 bis 9.00 Uhr wurde die so genannte "Tonleiterprobe" abgehalten. Anschließend war Orchesterprobe oder Einzelüben. Der Nachmittag war ebenfalls dem Einzelüben vorbehalten. Einmal wöchentlich fuhren wir zum Unterricht. Ich hatte z. B. Klavierunterricht beim Kantor Wieber in Wittenberg.
Inzwischen hatte ich angefangen, Trompete zu blasen, weil ich ja auch bei der Blasmusik einsetzbar sein musste. Dafür waren als Gehilfen Heinz und Werner Kasselt zuständig. Nicht vergessen sei Wilhelm Hundt, der zum festen Bestand der Schule gehörte. Im Ort ansässige Musiker wie Vater Krause ("Paukenkrause") und Sohn Heinz Krause, Alfred Gangl, auch Umsiedler Rudolf Kugler, vervollständigten die Besetzung des Stadtorchesters. 
Paul Grabsch kam nach Annaburg, um seine Ausbildung abzuschließen und blieb.
Als der einzige Cellist ausgelernt hatte und wegging, war es an mir, die Lücke zu schließen. Hans Rohr selbst spielte Cello und gab mir den ersten Unterricht. Das Violoncello wurde später mein Hauptinstrument und Hans Rohr war bis zuletzt stolz darauf, dass ich es bis zum Solocellisten im Gewandhaus gebracht habe.
In der Regel am Freitag kam der Plan heraus, wer wo mit wem zum Tanz aufzuspielen hatte. Jedes Dorf zwischen Annaburg und Prettin wollte seine Musik haben, eine Disco gab es ja noch nicht. Auf dem Hinweg konnte die Kleinbahn benutzt werden, aber nachts zurück ging es zu Fuß. Nur einige von uns besaßen ein Fahrrad. Und wenn kein brauchbares Klavier vorhanden war, musste ich Willi Lutzenberger um sein Akkordeon bitten, das dann auf dem Heimweg auf die Schultern drückte. Ich war vier Jahre - von 1945 bis 1949 - in Annaburg. In dieser Zeit habe ich alles kennen gelernt und mitgemacht, was es an Musik so gibt: Zum Tanzen, zum Marschieren, zu Beerdigungen, zu Hochzeiten, zum Unterhalten. Im Kreiskulturorchester Herzberg, von Waldemar Steinhardt auf die Beine gebracht, waren wir von Annaburg auch dabei, wenn Sinfoniekonzerte stattfanden.
Trotz der schwierigen Umstände, die die Nachkriegszeit mit sich brachte, war es eine schöne Zeit, die ich nicht missen möchte. Ich konnte Erfahrungen sammeln, wie es nur auf einer "Stadtpfeife" möglich war. Mancher Studienkollege beneidete mich später darum. Die privat betriebene Musikschule Rohr in Annaburg wurde Anfang der fünfziger Jahre geschlossen, Hans Rohr wurde Leiter der staatlichen Musikschule in Torgau.

Lothar Max 1998

Die Musikschule Rohr bestand leider nur noch bis zum Jahr 1950. Ab diesem Zeitpunkt waren private Musikschulen in der DDR nicht mehr gestattet und die Musikschule musste aufgelöst werden. Das Lebenswerk von Max und Hans Rohr wurde somit zerstört und eine sehr dienliche Einrichtung war für Annaburg verloren.
Im Jahr 1951 verstarb Herr Max Rohr und sein Sohn Hans ging an die Staatliche Musikschule Torgau als deren Direktor und leitete diese 30 Jahre.
Im Jahre 1981 schied Herr Hans Rohr aus Altersgründen als langjähriger Direktor der Musikschule in Torgau in Ehren aus.

 

Edwin Kretzschmann Annaburg 1994
Ortschronist