Neugraben

Bauzeit von 1576-1577ps_20161117220425

 von Neumühl bei Übigau – bis Grabo bei Jessen – ca. 30 km Länge1)


Die Arbeiten zum Bau des aufwendigsten Kanals, des „Neugrabens“, begannen im Jahre 1576. Am 26. Juni 1576 erfolgte der erste Spatenstich bei dem Dorfe Grabo, in der Nähe der Schwarzen Elster. Er sollte „die Elster zur Lochau in den Schlossgräben und Teiche beim Schlosse Lochau bringen“ und gleichzeitig die neu erbaute Mahl und Schneidemühle antreiben (Das betraf die Stadtmühle in Übigau lt. den urkundlichen Erwähnungen und die Heidemühle im Zscharnik). Wie viele Anlagen jener Zeit, so geht auch dieser Graben in seinem Ursprung auf den Wittenberger Kurfürsten Friedrich III. (Friedrich der Weise) zurück. Ein Stück des Altgrabens dürfte vor allem in dem Flutergraben zwischen der Torgauer Strasse und der Schlossstrasse zu finden sein. Er war damals bedeutend breiter als heute und diente damals vermutlich zum Antrieb einer Wassermühle die ursprünglich auf Höhe der Torgauerer Str. lag. Später nach Verlegung der Wassermühle zum heutigen Standort am Mühlenend, wurde an ihrer Stelle ein Wehr und eine Schleuse erbaut.

Annaburg 1586
Annaburg 1586

Der Name „Auerbach“ für das in der Nähe gelegene Fachwerkgebäude am Markt ist von diesem Schnellfließenden Bach abgeleitet. Auch der im „Grossen Tiergarten“ gelegene und heute nicht mehr vorhandene „Flutergraben“ scheint ein Teil davon gewesen zu sein.

ps_20161026131640Am Bau des „Neugrabens“ waren unter Leitung des Oberbergwerksverwalters Merten Planer aus Freiberg und der Stichmeister Bastian Kneufel und Hans Hunich zeitweilig bis 2.300 Tagelöhner beteiligt. Es kostete Planer, der auch die Brunnen auf der „Augustusburg“ und auf dem „Königsstein“ angelegt hat, unsägliche Mühen, das Werk voranzutreiben. Dem Vertrag zufolge den Planer mit Kneufel im Auftrag des Kurfürsten geschlossen hatte, musste der Graben oben 14 Ellen gleich 7, 84 Meter und unten 6 Ellen (1 Elle 56 cm) gleich 3,66 Meter weit sein und auf jeder Seite eine Erhöhung von einer Elle Breite haben.

Welch ungeheuren Strapazen mussten die Tagelöhner2) mit der Ausgrabung mit Lehm, Eisenstein und Torf auf sich nehmen, lässt sich heute nur noch erahnen. Das so mancher, auch in Anbetracht der schlechten Bezahlung, unerlaubt seinen Platz verließ, war nur erklärlich.

Am 17. August berichtete Worms, der von Kanitz später, auch bei dieser Aufgabe, wegen nicht terminlicher Fertigstellung, abgelöst wurde. Allein 600 Tagelöhner3) waren nur allein am „Zschernicker Teiche“ beschäftigt, um diesen fertig zu stellen. Bis zum Hause des Aufsehers bei Übigau waren es jedoch noch 4332 Ruten (1 Rute 3,39 Meter) gleich 14,7 km, deshalb war Eile geboten, denn der Winter stand vor der Tür. Aus den umliegenden Ämtern wurden weitere Kräfte verpflichtet, und Worms trieb weiter zur äußersten Eile an. Am 19. September meldete Kanitz:

„Es ist ein stattlicher Graben, dass Erw. Ch. Gnaden mit den Schiffen von Annaburg bis nach Übigau gar fahren können. Noch ist aber der über 30 km Kanal jedoch noch nicht ganz vollendet.“

Endlich, am 13. Oktober 1577 kann Planer dem Kurfürsten berichten, dass der Graben am Vortag, also am 12. Oktober 1577 bei Übigau in die Elster gestoßen wurde.

Die Hauptaufgabe des „Neugrabens“ war die Schlossgräben und Teiche mit Wasser zu versorgen.

ps_20161111173144Interessant ist darüber hinaus die Tatsache, dass der Neugraben in nachfolgenden Jahrhunderten mit der aufkommenden Holzmangel auch zum Holzflößen aus wirtschaftlichen Gründen diente. Das Holz der „Annaburger Heide“ wurde über die Schwarze Elster zur Elbe nach Magdeburg transportiert. Zu diesem Zweck bestand bis zum Jahre 1835 in Annaburg ein „Floßamt“ mit einem Floßinspektor an der Spitze. Im Schumannschen Lexikon des Jahres 1814 wird das „Holzflößen“ noch neben Land und Forstwirtschaft ausdrücklich als Einnahmequelle genannt.

ps_20161117224127Geflößt wurde auf dem Neugraben erst nach dem Befehl August des Starken vom 4.5.1697 hauptsächlich zur Brennholz und Nutzholzversorgung der Saline Groß-Salze (heute Schönebeck), die Ostsachsen mit Kochsalz über die Elsterlinie bis 1780 versorgt hat.

Unser Annaburg, das frühere Lochau der Askanier (bis 1422), des Ernestineschen Kurfürsten Friedrich des Weisen (1486-1525), liegt am Nordrand eines großen Forstes der Lochau/Annaburger Heide in einer Niederung zwischen Elbe und Schwarzer Elster, etwa gleichweit von Torgau und Wittenberg entfernt. Nach den Befreiungskriegen fiel unsere Region und somit unser Annaburg an Preußen. Heute gehört sie teils zu Sachsen, zu Brandenburg und zu Sachsen – Anhalt. Deshalb ist diese geschichtsträchtige Gegend relativ wenig bekannt. Sein Renaissanceschloss Annaburg ließ Kurfürst August I. anstelle der Alten Lochau als unsymmetrische Vierflügelanlage als Wasserschloss mit einem Vorderschloss, Doppelgräben und Zugbrücken errichten. Der dazu gehörige „Tiergarten“ war von einer 8,5 km langen, 2,2 Meter hohen viertorigen Mauer umgeben. Der Mauergraben oder Schifffahrtskanal ist (ca. 6 Meter breit und 1,5 Meter tief und umfließt den „Grossen Tiergarten“, gespeist von einem Fluter vom Neugraben. Der Schifffahrtskanal (heutige Mauergraben) seinerseits bewässerte Gräben innerhalb des „Tiergartens“ einschließlich 42 und später 48 miteinander verbundener Fischteiche sowie den großen Schlossteiche mit den Schlossgräben. Aus letzteren wurde dass Teiche- und Grabensystem über den „Alten Graben“ (Scheißgraben), bereits unter Kurfürst Friedrich den Weisen entwässert. Der Alte Graben trieb wie schon dargelegt eine Wassermühle. Ein zweiter Abfluss war der Kunstgraben Planers, der ebenso wie der Alte Graben in den Neugraben einband und wie alle Baumaßnahmen zu vor, Planers Handschrift trug. Die Mühle wurde jetzt am Neugraben errichtet und am Kunstgraben eine Wasserkunst gebaut. Diese vierstöckige, 17 Meter hohe Wasserkunst mit einem Wasserrad von 6,00 Meter Durchmesser pumpte das von den Gorrenberg über ein 10 km lange Röhrleitung über eine Röhrholzbrücke der Schwarze Elster herangeführte Quellwasser vom Schweinitzer Weinberg bis in die oberen Etagen des Schlosses.

Der Kostenanschlag für diese Bauten betrug 1.196 Gulden 10 Groschen und 6 Pfennige. An den Arbeiten waren 232 Mann, darunter 41 Zimmerleute und 96 Wasserknechte Tag und Nacht beschäftigt. Der Sinn dieser Maßnahme bestand in dem Ziel, das von den Gorrenbergen abgeleitete Quellwasser über Holzleitungen durch die vom Wasserrad angetriebenen Pumpen in das dritte Stockwerk des Neuerbauten Schlosses Lochau/Annaburg befördern zu können. Dieser Gebäudekomplex wurde dicht bei dem Platze angelegt, wo der heutige ehemals letzte Besitzer, die Annaburger LPG – Mühle untergebracht war. Nicht unweit von der Mühle zweigte sich ein Verbindungsgraben nach der Nordoststrecke des Schlosses ab, den man den Mühlen – Graben, später den Kunstgraben hieß. Sein Verlauf vom Schloss, vorbei am Forstamt und dem jetzigen Feuerwehrgerätehaus bis zum Neugraben ist noch heute in Teilen erkennbar.

dillichzeichnung_17jhNeben der „Wasserkunst“ hat wohl auch das Wohnhaus des „Kunstmeisters“ gelegen. Leider gibt es dazu keine näheren Angaben. Alle diese Aufwendungen waren notwendig um in den kurfürstlichen Wohnräumen im Schloss „modern“ zu leben. Die Nutzung des damaligen technischen Fortschritt und der hoher Aufwand, der Zuführung des Quellwassers über eine Wasserleitung und der Bau des Neugrabens kamen nur der Bequemlichkeit einer handvoll höhergestellter Personen zu gute. Eine vielfache Anzahl von „bedürftigeren“ Menschen aber waren notwendig um diese Anlagen zu bauen und zu unterhalten. Die älteste Röhrwasserleitung wurde in Lochau schon zu Zeiten von Friedrich des Weisen erbaut. Welche Bedeutung dem sauberen, klaren Wasser beigemessen wurde, ist bereits darin erkennbar, dass die Kurfürstin Anna noch vor dem Bau der „Annaburg“ am 15. Mai 1571 die Weisung erteilte: das Röhrwasser, so zuvor vom Gorrenberge in unser Schloss zur Lochau geführt werde, wiederum von neuen ganzhaftig zu machen und legen zu lassen. Für die Reparatur der Röhrleitung wurden 480 Stämme geschlagen. Anscheinend konnte die alte Wasserleitung den Wasserbedarf dennoch nicht decken.

So wird im Jahre 1573 eine neue Röhrleitung, „so am Gorrenberge bei der Schäferei über der Schwarzen Elster bei Schweinitz im zweiten Gelege gefasset ist“ errichtet.

Jetzt konnte man unabhängig von einander sowohl das Hinter- als auch das Vorderschloss mit gutem Wasser versorgen. Für die ältere Leitung trug der Röhrmeister Hans Stößer die Verantwortung, für die Neue war Simon Hörn zuständig. Schenkt man den Angaben einer neuerlichen Reparatur zum Ende des 18. Jahrhunderts Glauben, so hat die Röhrleitung (welche ist nicht bekannt) aus 2.587 Stämmen zu je 7 Ellen ein Stamm (gleich 3,92 m) bestanden.

Obgleich die Betreibung dieses Wassersystems aufwendig und kompliziert war, fand es bis weit in das 19. Jahrhundert hinein Anwendung. (Nutzer war u.a. das Knabenerziehungs-Institut ab 1762).

ps_20161111190624Neben den Schlossgebäuden wurden das „Amtshaus“ die „Neuen Häuser“ am Markt, das „Vorwerk“, und das „Jägerhaus“ mit dem Quellwasser aus den Röhrleitungen versorgt. Deshalb ist es heute nicht verwunderlich, dass bei Erdarbeiten Teile dieser Leitungen gefunden werden.

ps_20150826113742Unterhalb der Wasserkunst trieb der Neugraben noch eine zweite Mühle (die Gerbismühle). Insgesamt wurden am Verlauf des Neugrabens 6 Wassermühlen betrieben.

Martin Planer war damals sehr oft in Annaburg, und hat hier mit Gräben und Brunnen viel zu tun gehabt.

Der schiffbare Neugraben war einst 8 m breit und 30 km lang. Er verlässt die Schwarze Elster in Neumühl bei Übigau, verläuft in zwei Drittel seines Verlaufes im Einschnitt nimmt verschiedene Gräben auf bzw. wird durch sie unterdünckert. Er durchquerte die Annaburger Heide, wird dort von 10 mit Eigennamen bezeichneten Brücken (Torgauer, Zätzsch-, Bank-, Bretzel-, Heidemühl-, Hegeholz-, Kreuz-, Schutter- und Rotbruchbrücke) überspannt, und tangiert den östlichen Stadtrand von Annaburg und mündet bei Grabo in der Nähe von Jessen wieder in die Schwarze Elster.

Aus aktuellen Messtischblättern des Neugrabengebietes ist zu entnehmen, dass der Graben in 83,5 m Höhe beginnt und bei 70,5 m mündet. Die Strömungsgeschwindigkeit wird mit 0,1-0,4 m/s angegeben, das entspricht etwa 17 km pro Tag. Die Breite des Grabens beträgt heute noch 3-5 bis 7 m, die Tiefe noch 0,1-bis 0,6 m.

Bei mehreren Exkursionen des Dr. Hartmann aus Leipzig seit Sommer 1996 konnte festgestellt werden, dass der Schifffahrtskanal in großen Teilen noch vorhanden, im südwestlichen Abschnitt trocken und bewaldet, im außerhalb des Sperrgebietes gelegenen südöstlichen Bereich Wasser gefüllt, beräumt und mit Bibern besetzt war. Gespeist wird er heute nur noch vom Mollgraben. Der Planersche Fluther als früherer Zulauf vom Neugraben existiert noch als trockene Rinne im Wald. Die Schlossgräben und der Alte Graben sind erneuert. Der Kunstgraben existiert noch, ist jedoch größtenteils verrohrt. Der Neugraben ist vollständig vorhanden, führt aber wenig Wasser. Von der Schwarzen Elster bekommt der Neugraben seit der großen Elsterregulierung (1863) keinen Tropfen Wasser mehr, da der Wasserspiegel des Neugrabens danach höher (ca. 0,50 m) als bei der Schwarzen Elster lag.4)

Eine weitere Ursache des Wassermangels liegt aber auch in der Flutung der ehemaligen Kohletagebaue mit Elsterwasser. Leider liegt ein Teil des Neugrabens und des ehemaligen großen Tiergartens im militärischen Sperrgebiet und ist für die Bürger und Naturschützer nicht erreichbar.

ps_20161117220648Der Neugraben steht als technisches Denkmal unter Denkmalschutz und deshalb wäre eine ausreichende Wasserregulierung zu seinem dauerhaften Erhalt dringend geboten.

 

 

Edwin Kretzschmann

AnnaOffice©2024-02-28

Quelle

  • Dr. Helmut Hartmann-Martin Planer-Sein Leben und seine Zeit
  • Gründler,E.-Schloss- Annaburg-Festschrift MKI-Berlin 1888
  • Verein für HG u. Denkmalspflege-Jagdschloss-Annaburg

1)  Die Längenangabe des Neugrabens hat der Autor aus Otto Heinzes „Geschichtlichen Rückblick“ von 1938 ungeprüft übernommen. Tatsächlich beträgt die Länge des Neugrabens von Uebigau bis Grabo 45 km. 

2,3)  Wenn der Autor hier von Tagelöhner schreibt – dann nur weil seine Quellen aus dem 18 Jh. sie als Tagelöhner bezeichnen. Tatsächlich kann es sich nur um Frondienstpflichtige handeln – die für die zusätzlich zur leistenden Fronarbeit mit Geld entlohnt wurden.    

4) Mit der Ablösung der Mühlenstaue und dem Ende der Holzscheitflößerei auf dem Neugraben überwog der Schutz vor Überschwemmung vor dem Erhalt des Neugrabens. Deswegen wurde mit der Elsterregulierung der Zustrom von Wasser aus der Schwarzen Elster dauerhaft unterbunden. Der Neugraben speiste sich seit 1863 nur noch durch die natürliche Entwässerung die er aus seinem Verlaufsgebiet bezieht. Da sich aber der Grundwasserspiegel durch die eingedeichten Flüsse (Elbe und Schwarze Elster)  in den vergangenen 150 Jahren spürbar und nachhaltig abgesengt hat, wirkte sich dieser Zustand natürlich auch auf die Abflussmenge die über den Neugraben entwässert wird nachteilig aus.  Der wirtschaftliche Aufwand zum Erhalt dieses „Kunstgrabens“ stand im krassen Missverhältnis zu seinem wirtschaftlichen Erfordernis. Nachweislich wurde der Neugraben vom RAD nochmals in seiner vollen Länge reguliert, mit teilweise Begradigung seines Laufes und Uferbefestigung. Die Notwendigkeit ergab sich aus dem Jahrhunderthochwasserereignis von 1925/26, sowie der damals als notwendig erachteten Melioration weiterer Feuchtgebiete um sie als Landwirtschaftliche Nutzflächen zu gewinnen. 7300 ha sollen dabei vom Stauwasser befreit worden sein und über 125 km Gräben gelegt worden sein.

Heute im „Grünen Zeitalter“ will man den künstlichen Kanal „Renaturieren“ was dann soviel heißt wie verlanden und verschwinden lassen. Nur da wo er als Vorflut dient wird er die Funktion ehemaliger Rinnen, Lachen und Bäche uns erhalten bleiben. Durch die Annaburger Heide wird er dann wohl nicht mehr fließen.