Ostsiedelung


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Wie ging eigentlich die Ostsiedlung vor sich, wie wurde unsere Gegend Deutsch?


Anno 937 übertrug Otto I. die Grenzhut im Nordosten des Reiches dem Grafen Gero. Der deutsche Kaiser machte ihm zum Markgrafen der sächsischen Ostmark. Geros vornehmlich militärische Aufgaben als Markgraf erstreckte sich auf die slawischen Gebiete zwischen Saale, Elbe und Oder.

Er leitete die Ostexpansion 939/40 mit der Eroberung von Brandenburg und des wendischen Gebietes zwischen mittlerer Elbe und Oder ein. 955 besiegte er zusammen mit Otto I. die Elbslawen. Mit diesen Erfolgen schuf er die Voraussetzungen für die Gründung der Bistümer Havelberg und Brandenburg sowie für die Christianisierung und die Durchsetzung der deutschen Herrschaft in diesem und damit auch in unserem Gebiet entlang der Elbe. Mit den erfolgreichen Kriegszügen Geros gegen die Slawen konnte er die Sächsische Ostmark endlich auch in Besitz nehmen.

Grenz Gau - Ausgangssituation um 900
Grenz Gau – Ausgangssituation um 900

Das Elbe-Elster-Land machte einen großen Teil des in der Ostmark liegenden Gau Nizizi aus. Bis dahin nannte man das Gebiet auch Mezumroka (altsorbisch: Zwischen den Sümpfen, Grenzland). Dieses Gebiet wurde erst in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts Teil der Ostmark und damit in das Deutsche Reich eingefügt. Es war ein unwegsames Gebiet, dass nur dünn durch kleinere slawische Stämme meist in den Randlagen des Gebietes besiedelt war. Mit der Schaffung von Burgwartmittelpunkten kamen deutsche Siedler in das Land. Dabei wurden die ersten Burgen oft auf altslawischen Burgen errichtet, wie zum Beispiel die in den Kaiserurkunden erwähnten Burgen Klöden (965), Prettin (981), und Zwethau (1004). Mit dem späteren Landesausbau im 12. Jahrhundert verloren diese Burgwartmittelpunkte ihre Bedeutung und fungierten jetzt als dörfliche Ministerialiensitze.

Die christliche Missionierung zur Festigung der Macht nahm ihren Ausgangspunkt schon Anno 968 in Magdeburg – ein Jahr nachdem Otto II. als Mitregent seines Vaters zum deutschen Kaiser gekrönt wurde.

Die Ostexpansion erfolgte so in kleinen Schritten – es wurden dazu keine großen Schlachten geschlagen. Die großen Schlachten über die die Chronisten schrieben fanden wo anders statt – 951 Italienzug Otto I., 955 Schlacht auf dem Lechfeld, 974 Feldzüge gegen Böhmen, Polen, Dänen, Wikinger, 978 Feldzug gegen Frankreich, 980 Italienzug Otto des II.

ps_2016101719113315 Jahre nach der Christianisierung erfahren wir im Zusammenhang mit einem „erwähnenswerten“ Aufstand der Slawen jenseits der Elbe Schlaglichtartig wie sich die Ostexpansion davor vollzogen hat. Anno 983, in den Grenzgebieten des deutschen Reiches – in den „Grenzmarken“ Meißen und Brandenburg, begann es zu gären. Die Unzufriedenen trafen sich mit Gleichgesinnten, die Unterdrückten schmiedeten Pläne, die Todfeinde griffen zu den Waffen. In den Marken jenseits der Elbe loderten die Flammen des Aufruhrs. In die Geschichte geht dieses Ereignis als der große Slawensturms ein.

Slawen waren für die Deutschen seit jeher keine Menschen, sondern wirtschaftlich zu nutzende Sachwerte, so wie man Schafe und Rinder nutzte. Man machte sie zinspflichtig, belegte sie mit hohen Tributzahlungen, eignete sich ihre Höfe an, ihre Äcker, ihre Weiden. Schickten sie Abordnungen mit der Bitte, die Fron zu mildern, brachte man die Abgeordneten um – denn mit Nicht-Menschen verhandelte ein Christenmensch nicht. Griffen sie in ihrer Not zu den Waffen, kam es zu lokalen Vergeltungsaktionen, bei denen ihre Dörfer verbrannt, die Männer gemordet, Frauen und Kinder verschleppt wurden, öffentliche Hinrichtungen von zwei- bis dreihundert Gefangenen gehörten nach größeren Gefechten zu den Veranstaltungen – denn was sollte man mit aufmüpfigen ansonsten anfangen – die ließen sich schließlich nicht bequem ausnutzen – die Gefahr des Aufruhrs bestand mit der Existenz von mutigen Kriegern auch weiterhin. Sie mussten ihr Leben geben und dienten der Abschreckung oder auch der Befriedigung sadistischer Rachegefühle. Selbst ihren Fürsten gegenüber, mit denen nicht wenige Sachsen verwandt waren und verschwägert, fühlte man sich zu Treu und Glauben nicht verpflichtet. Markgraf Gero von der sächsischen Ostmark, einer von jenen hohen Adligen, die tiefe Frömmigkeit mit entsetzlicher Grausamkeit scheinbar mühelos in sich vereinten, einer, der nach blutiger »arbeit« im Slawenland nach Rom Wallfahrtete, dort den Arm des heiligen Cyriacus erwarb und mit dieser Reliquie ein Kloster (freiweltliches unmittelbares Kanonissenstift Gernrode) gründete, dieser Mann bat dreißig slawische Stammesfürsten zu einem Festgelage, machte sie betrunken, um sie dann einzeln abzuschlachten. Verhasst waren auch Herzog Bernhard von Sachsen (1176-1212, aus der askanischen Linie) und Markgraf Thiedrich, denen sogar die eigenen Landsleute vorwarfen, sie seien keine Landpfleger, sondern Zwingvögte. Selbst aus einem Brief Ottos des Großen, der so barmherzig sein konnte, weht Erbarmungslosigkeit, wenn er aus Italien schreibt:

»Es ist unser Wille, dass Ihr mit den Redariern [einem slawischen Stamm] . . . keinen Frieden macht. .. Gehet also zu Rate und traget Sorge, dass dieses Volk ausgerottet werde und damit den Unruhen ein Ziel gesetzt. «

So glich die viel zitierte, zum Teil auch viel gepriesene Ostpolitik der sächsischen und wettinischen Dynastie phasenweise mehr einer brutalen Unterdrückung, als einer Segen bringende Kolonisation. Auf ähnlichem Niveau stand die von der Kirche betriebene Mission. Die Bischöfe begnügten sich damit, die Heiden zu taufen, versäumten es aber,

»sie in geduldiger, beharrlicher und geschickter Arbeit allmählich auch innerlich zu gewinnen und dem deutschen christlichen Geist aufzuschließen«.

Die weltlichen Herren standen der Bekehrung ohnehin skeptisch gegenüber, denn zu Christen gewordene Slawen konnte man nicht mehr mit demselben guten Gewissen ausbeuten wie jene, die noch Heiden waren.

Der Aufstand des Jahres 983 bestätigte die Worte, die Widukind von Corvey den Slawen in widerwilliger Anerkennung gewidmet hatte:

»Jene aber wählten dennoch lieber Krieg denn Frieden und schätzten alle Not gering gegenüber der Freiheit. Denn dieser Menschenschlag ist zäh und mühe duldend, gewöhnt an einfache Kost, und was den unseren eine Last, ist den Slawen eine Lust. «

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Die Ljutizen, Heveller, Redarier, die Abodriten jagten die Deutschen »wie Hirsche«, verbrannten Hamburg, überfielen Havelberg, nahmen Brandenburg, einige Stämme überschritten die Elbe und verheerten altsächsischen Boden, ein Nonnenkloster bei Calbe an der Saale wurde eingeäschert, bald war auch Magdeburg bedroht, die stolze Stadt, von Otto 1. zum Sitz eines Erzbischofs gemacht und als »zweites Rom« geplant. Erst jetzt fanden sich die Angegriffenen, die bis dahin in panischer Flucht sich zu retten versucht hatten, die kleinen Geistlichen ihrem schrecklichen Schicksal überlassend, zu gemeinsamen Widerstand zusammen und gewannen an der Tanger eine Schlacht. Die Elbgrenze war damit wieder gesichert, doch was jenseits des Stromes lag, ging großenteils verloren.

Aber nicht lange – in den nachfolgenden Jahren wurden die Slawen jenseits der Elbe in kleinen Gefechten und Scharmützel – die wegen ihrer Belanglosigkeit und vor allem ihrer Brutalität und Unrühmlichkeit kein Chronist aufzeichnete, Schritt für Schritt vom jeweiligen Markgrafen, Herzog oder auch wie in unserem Falle nach 1156 den Grafen von Brehna wieder vereinnahmt und seinem Herrschaftsgebiet zugeordnet.

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Wenn man sich die Grafschaft Brehna betrachtet, könnte man meinen, einen Angriffstreifen eines modernen Truppenkörpers vor sich zu haben. Der Ort Brehna als Ausgangspunkt der Ostexpansion, die Mulde bildete die erste natürliche Grenze die es zu überwinden galt. Die nächste Grenze die Elbe – die nächste Etappe. Zuvor aber befestigt durch Kemberg, Klöden, Axien und Prettin. Die Elbe änderte häufig ihren Lauf dazumal und die benannten Orte lagen damals am westlichen Ufer. Es war sicherlich ein zäher Kampf im Sumpfgebiet zwischen Elbe und Schwarzer Elster. Denn selbst zwischen Herzberg und Schlieben lag damals weitläufiges Sumpfgebiet. Die Grafen von Brehna bekamen das schwierigste Gelände zugewiesen. Sicherlich war es aber eher so, dass dieses Gebiet von den Markgrafen von Meissen und den Brandenburgern wegen ihres schwierigen Terrains links bzw. recht liegen gelassen wurde und sich die Grafen nur noch in diese Richtung ausbreiten konnten. Zur Festigung ihrer Hausmacht verlegten die Grafen von Brehna ihren Sitz um 1284 nach Löben und Gründeten Herzberg 1284 als Brückenstadt an der Schwarzen Elster. Wie es den slawischen Bewohnern von Lochau bei diesen Auseinandersetzungen erging werden wir nicht erfahren. Kein Chronist dieser Zeit hielt es für nötig über solche Belanglosigkeiten zu schreiben. Vielleicht hatten sie ihre hölzerne Fluchtburg hier in Annaburg, die dann durch die Grafen von Brehna zerstört wurde und das Jagdhaus wurde später auf diesem Platz errichtet. Wie dem auch sei, belegt ist das durch Ausgrabungen nicht.

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Brandenburg allerdings hielt sich noch lange. 1147 fand der Wendenkreuzzug statt an dem u.a. Konrad der I., Stammvater der Wettiner teilnahm. Aber erst 1157 unter Albrecht dem Bär (ein Askanier) wurde Brandenburg erneut erobert. Ab da nannten sich die Askanier die Markgrafen von Brandenburg. Die Willfähigen Slawen wurden nicht vernichtet – sie wurden als Leibeigene von den Markgrafen, Herzögen und (Land)Grafen benötigt.

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Erst ab dem 12-14 Jh. förderten die  Markgrafen, Herzögen und (Land)Grafen durch großzügige Landzuteilung und günstige rechtliche Bedingungen die Einwanderung deutscher Siedler, um ihre (oft an das Reich angelehnte) Herrschaft zu sichern und ihr Land wirtschaftlich weiter auszubauen (Rodung, Ausbeutung von Bodenschätzen). Die Siedler wurden in den dicht besiedelten Kerngebieten des Reichs meist von einem Siedlungsunternehmer (Lokalisatoren) angeworben, der auch die Landvermessung und den Abschluss der Rechtsgeschäfte übernahm. Die Ansiedlung erfolgte »nach deutschem Recht«, das persönliche Freiheit, weit gehende Verfügbarkeit des Besitzes, feste Zinsabgaben statt Dienstleistungen und eigene Gerichtsbarkeit beinhaltete. Die deutschen Rechtsformen drangen über die Regionen deutscher Siedlung hinaus und wirkten prägend für die Rechtsentwicklung im übrigen Herrschaftsbereich. Als Folge dieses Landesausbaus setzte auch in unserem Gebiet ein wirtschaftlicher Aufschwung ein (Vermehrung des Ackerlandes, Rohstoffgewinnung, Verdichtung des Verkehrs- und Siedlungsnetzes). Da es bei uns vorwiegend bäuerliche Siedlungen gab, verschmolzen die deutschen Siedler mit der slawischen Bevölkerung. So wurde unsere Gegend allmählich Deutsch.

 

Bernd Hopke
Ortschronist

AnnaOffice©2020-12-29

 

 

Quelle

  • Fischer, Fabian „Die deutschen Cäsaren“, Droemer Knaur Verlag 1977
  • „Duden, Grundwissen-Geschichte“, Verlag Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG Mannheim 1996
  • Microsoft® Encarta® Enzyklopädie Professional 2003

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