Stadtwerdung

Lochau – Städtlein Annaburg – preußische Landgemeinde – Stadt Annaburg

 


Annaburg erhielt erst 1939 sein Stadtrecht. Bis dahin bildeten wir eine Kommunalgemeinde.

Eine Stadt – zeichnete sich seit dem Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein durch eine wirtschaftliche und rechtliche Sonderstellung gegenüber den Dörfern aus. Wirtschaftlich beruht Sie auf dem Monopol für Handel und Handwerk, wesentliches Element dieser Sonderstellung ist aber vor allem die Freiheit von Grundherrlichen Bindungen und das Recht auf Selbstbestimmung über ihre inneren Angelegenheiten. Annaburg war in sächsischer Zeit eine dörfliche Gemeinde mit dem Sitz des Amtes Annaburg und des Sitzes des überregional agierenden Forst- und Wildmeisters. Obwohl es ein Erbrichter gab wurde die Gerichtsbarkeit durch das Amt ausgeübt.

Die in Lochau/Annaburg lebenden Personen, 40 insgesamt waren alle Amtsuntertanen. Aber Annaburg hatte ein wesentliches Stadtrecht – das Marktrecht und es gab auch das Recht zur Ausübung bestimmter Gewerbe. Nachweislich gab es auch eine Zunft – die der Bienenbeutler. Lochau/Annaburg war eine Stadt minderen Rechts, ein Gemeinwesen mit Teilfunktionen einer Stadt. Deshalb wurde es auch als Städtlein im Amtsbuch geführt. „Städtlein“ ist allerdings nur in Sachsen gebräuchlich für die Bezeichnung eines Gemeinwesens mit Teilfunktionen/Rechten einer Stadt. Selbst ein Wappen ist überliefert, was in seinem Mittelfeld einen Rosenbaum mit 5 Knospen zeigt und mit der umlaufenden Schrift „Städtlein Annaburg 1678“ versehen ist.

Im Erbamtsbuch vom Amt Annaburg ist Lochau, das heutige Annaburg als „Städtlein“ bezeichnet. Seine Amtsuntertanen werden darin einzelnen aufgeführt, unterschieden wird dabei in 8 Hüfner (Bauer) 1 Erbrichter, 9 Gärtner und 22 Vorstädter. Wobei die „Städter“ nicht genannt werden. Territorial verstand man in der Anfangszeit nur den Markt als das „Städtlein“ alles andere zählte schon zu den Vorstädtern.

Der Marktbereich bestand im 16. Jahrhundert nur aus kurfürstlichem Besitz und war durch Wassergräben umfriedet. Seine Zugänge wurden durch Brückentorhäuser kontrolliert. Grundstücke zur Eigennutzung gab es nur in der Vorstadt, so ist der ehemalige Amtmann Lachnicht als Vorstädter und Häusler geführt. Die verwendete Bezeichnung „Vorstädter“ ist hier nicht Sozial abwertend zu verstehen. Vielleicht versteht man dadurch folgende Eintragung vom 05.07.1673 auf S.351 im Erbamtsbuch besser: „Lochaw im Städtlein Annaburg“. Das bedeutet, dass nicht der Name des Schlosses Annaburg auf Lochau überging, sondern Städtlein Annaburg eins mit dem Dorf Lochau wurde.

Eigentlich ist damit alles gesagt, wenn da nicht die Behauptung im Raum steht und man sich immer wieder ehrfürchtig erzählt: „Das Annaburg 1678 von Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen das Stadtrecht verliehen wurde.“ Es soll dann später nicht mehr anerkannt worden sein. Andere Autoren verlegen dieses Ereignis der „Stadtwerdung“ auch gleich ins folgende Jahrhundert. Alles nahm seinen Anfang als Gründler in seine Geschichte über das Militärknabenerziehungs-Institut schrieb:

Nach einem im Besitz der Annaburger Gemeinde befindlichen Aktenstücke aus dem Jahre 1681 war das „Städtlein“ durch Krieg, Brand und Pest in den vorangehenden Jahrzehnten so herunter gekommen, dass es bis dahin bei den Landtagen sich nicht wieder hatte vertreten lassen können. In dem genannten Jahre nahm es, durch die Friedenszeit wieder zu einiger Blüte gelangt, seine alten Rechte von neuem in Anspruch und schickten nach kurfürstlicher Aufforderung seinen Vertreter zum Landtag.“ 

Dagegen ist doch auch nichts einzuwenden, vielleicht wurden auf dem Landtage Themen besprochen die auch die Städte mit minderen Rechten betrafen. Aber er schrieb auch noch, dass im Schumann – Lexikon von Sachsen auf Seite 145 steht:

dass das Stadtrecht Annaburgs schon im Jahre 1682 nicht mehr anerkannt und sein Abgesandter damals in Dresden abgewiesen worden sei.“

Schumann war es, der durch diese Behauptung, dass Annaburg sein Stadtrecht verloren hat, indirekt die Behauptung aufstellte das Annaburg eine Stadt war. Ich nehme dem Mann seinen Irrtum nicht übel. Das Amtserbbuch von Annaburg stammt aus dem Jahr 1550 und bezeichnet unseren Ort als Städtlein und diese Bezeichnung wird von allen Kurfürsten so beibehalten und es gibt nirgends einen Eintrag zur „Stadterhebung“ darin. Aber der preußische Schumann ist nicht der einzige der irrige Angaben machte.

Denn geht man von der 1752 erschien Ämterkarte bei „Schreibers Erben“ aus, deren  Druck noch auf Johann George Schreiber zurückgeht (der vor der Herausgabe seines Werkes 1750 verstarb), war Annaburg eine Stadt. Nach dieser Karte ist Annaburg sogar als eine „große Stadt“ – im Gegensatz zu Herzberg und Jessen die als eine „kleine Stadt“ darin verzeichnet waren, dargestellt. Während die Posthalterei in Annaburg richtig, wurde hingegen auch ein nie vorhandenes Diakonat ausgewiesen.

Der 1678 in Augsburg geborene und dort wirkende Matthäus Seutter griff seinerseits auf dieses Material als Kartograf und Kupferstecher und Gründer der Druckerei und des Verlages Seutter zurück. Aber nach seiner Karte war Annaburg, aber auch Herzberg, Schlieben, Prettin und Jessen nicht als Stadt sondern als Städtlein ausgewiesen. Was soll man da wohl glauben dürfen? Als voll verlässliche Quellen können wir somit auch diese Karten leider nicht ansehen.

Fast 100 Jahre später wurde ein Geleitbrief ausgestellt, am 27. Februar 1780 in Wittenberg von einem unbekannten preußischen Schreiberling im Namen vom preußischen Prinzen Ludwig Heinrich Friedrich für das Gebiet der „Stadt Annaburg“. Es suggeriert uns, dass es sich doch um eine Stadt handelt. Vielleicht fielen sie alle auf den Begriff „Städtlein“ herein, denn dieser wurde nur in Sachsen für eine Stadt minderes Rechts gebraucht. In Österreich hieß es einfach Markt in Süddeutschland Marktflecken und in Preußen nur Flecken.

In den Archiven ist jedenfalls kein Dokument der „Stadt Annaburg“ zu finden. 1707 führt die „Gemeinde“ Annaburg neben anderer Beschwerde gegen das Verbot des Eichellesens und des Hütens auf der Trift und in der Wildbahn.  1711-1726 führt die „Gemeinde“ Annaburg Beschwerde gegen die abgeforderten Unkosten von den bewilligten Eckermastgeldern. Und 1739 strebt die „Gemeinde“ Annaburg wegen Erbtriftbeeinträchtigung einen Ausgleich an.

Lediglich 1801-1802 wird Annaburg als „Kommune“ bezeichnet die gemeinsam mit dem Amtsrichter Kahdemann ein Gehau zwischen Tiergartenmauer und Torgauer Straße die Nutzungsrechte erlangen will. Ansonsten gibt es massenweise Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Amt Annaburg und den Einwohnern von Annaburg seiest um Räumungsarbeiten im Mauergraben im Tiergarten 1725-1726, oder es weigern sich die Vorstädter von Annaburg  Handdiensten beim Bau der herrschaftlichen Gebäude in Annaburg 1739-1740 zu erbringen.

Alles zu finden unter Pkt.19 „Angelegenheiten der Amtsgemeinden und deren Einwohner (1446-1833)“. Auch in den Verhandlungen mit den Nachbargemeinden tritt keine Stadt Annaburg auf, sondern immer nur das Amt Annaburg. So im Hütungsstreitigkeiten zwischen dem im Amt Schweinitz gelegenen Gemeinden Grabo und Zwiesigko im Amt Annaburg und der Stadt Jessen 1593-1612 oder bei Grenzunstimmigkeiten und die erfolgte Grenzziehung zwischen dem Amt Annaburg und der Stadt Jessen 1733-1755.

Wozu nützt der eigentliche Streit darüber ob Annaburg schon früher eine Stadt war oder nicht?

Was ist denn wesentlich an einer Stadt. Das Selbstbestimmungsrecht. Stadtluft macht frei. Die Annaburger waren es nicht. Jede einzelne Hausstelle war dem Amt Annaburg Zinspflichtig, Hand- und Spanndienste waren zu erbringen. Jede Hausstelle, namentlich durch das Amt festgelegt hatte zum Beispiel einen Grabenabschnitt zu beräumen. Die Festlegungen traf kein Stadtrat sondern das Amt Annaburg legte fest.

Frei von den Amtsabgaben wurden die Annaburger erst nach den Separationsverhandlungen 1822. Eine Verteidigungsgemeinschaft war Annaburg auch nicht, weshalb es ja auch keine Stadtmauer gibt. Was die wirtschaftliche Möglichkeiten einer Stadt angeht, nun welch städtisches Bauwerk könnten wir da vorweisen? Allein unsere Kirche, die ist ohne Frage schön und idyllisch, aber einer Stadt würdig? Der Landrat Wiesand schrieb 1915:

Diese Kirche, die ein Fassungsvermögen von schätzungsweise 300 Personen hat, entspricht in ihrer Größe der Zeit, wo Annaburg rein landwirtschaftlichen Charakter hatte.“  

Könnte sich unser Bauwerk mit der in Prettin oder Jessen messen? Oder das Rathaus, wo soll es denn gestanden haben?

1693 wird zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes Sachsen durch den Oberpostmeister eine Reihe neuer Postkurse eingerichtet, darunter die Linie „Dresden – Hayn – Coßdorf – Annaburg – Wittenberg“ die eine Art Querverbindung im nördlichen sächsischen Gebiet rechts der Elbe darstellt. Damit wurde Annaburg erstmals und offiziell an das sächsische Poststraßennetz angeschlossen. 1729 sollen die hölzernen Distanzsäulen auf diesen Poststraßen durch steinerne Säulen ersetzt werden. Zuerst geht die Aufforderung an die Ämter und das Amt Annaburg lässt sie bestimmungsgemäß vor der Stadt errichten. So wird denn auch eine Postsäule an der Torgauer Straße vor dem Brückenhaus durch das Amt errichtet. Anders sieht es in den Amtsfreien Städten aus, hier sollen sie auf Kosten der Kommunen errichtet werden. Das führt naturgemäß zu Ärgernis. So werden dann entgegen der kurfürstlichen Weisung einige Säulen nicht vor den Tor, sondern um Geld zu sparen durch die Stadtkommunen auf dem Markt errichtet.   

1988 erscheint ein Buch über die „Kursächsische Postmeilensäulen und Adam Friedrich Zürner.“. Darin erfahren wir:

„Da(s) nach dem Mandat in allen Städten des Kurfürstentums und der genannten Gebiete Distanzsäulen aufgestellt werden sollten, kann man folgern, daß auch für alle Städte Säulen geplant waren, mit den Bürgermeistern bzw. Räten der Städte Verhandlungen geführt und eventuell Akten angelegt worden sind.
Im Folgenden sind deshalb zwei Gruppen von Städten aufgeführt, die nachweisbar in der ersten Hälfte des 18. Jh. Stadtrecht besaßen und damit zur Aufstellung von mindestens einer Distanzsäule verpflichtet waren. In den nachstehenden Städten der ersten Gruppe konnte bisher die Existenz einer Distanzsäule nicht nachgewiesen werden und es sind auch keine Aufstellungsakten in Archiven bekannt: Annaburg, Artern, Augustusburg Barby, Berga, Bernstadt, …..“

Ich weiß nicht wo der Autor den Nachweis unseres Stadtrechtes gefunden hat. Eine Quelleangabe dazu hat er leider nicht genannt. Aber zur Existenz dieser Säulen finden sich zumindest Karten mit ihrem eingetragenen Standort in den sächsischen Archiven. Vermutlich wird der Nachweis auch in den Amtsrechnungen zu finden sein. Bürgermeister und Stadtrat gab es im Städtlein Annaburg in der besagten Zeit jedenfalls nicht, weshalb es auch keine Unterlagen dazu geben kann.

Auch Otto Heinze war überzeugt, dass Annaburg einst eine Stadt gewesen war. Ohne auf die Frage „wann“ einzugehen schreibt er in seiner Institutschronik:

1862 Der Gemeinderat in Annaburg lehnt die Frage, ob Annaburg wieder Stadt werden solle ab, da die Ortsgemeinde die Ausgaben für eine Stadtverwaltung nicht tragen kann.“

Vielleicht ist der Gemeinderat auf die Idee gekommen, weil Freiherr von Zedliß 1828 in seinem Werk „Die Staatskräfte der Preußischen Monarchie unter Friedrich Wilhelm III.“ über Annaburg folgendes schrieb:

Annaburg, am neuen Graben, mit einer lutherischen und katholischen Schlosskirchen, 130 Häusern und 1560 Einwohnern. Hier ist ein königliches Rentamt, 1 Forstinspektion und Oberförsterei und in dem hießigen Schloß ein Soldaten-Knaben-Erziehungshaus. Dieser Ort war einst Stadt und hieß bis 1573 Lochau, nach ihr wurde die nahe Heide benannt.“ 

Was soll man dazu noch sagen? 1828 war das halt Stand Wissen. Heute wissen wir, dass Lochau 1673 noch Lochau hieß und die nahe Heide nach dem Jagdschloss „Annaburg“ benannt wurde. Freiherr von Zedliß, auch Otto Heinze wussten es zu Ihrer Zeit nicht besser – muss man deshalb noch heute was behaupten was nicht zu belegen ist?

Kommen wir noch zum letzten, auch das hat was mit der „Stadt“ zu tun, der Behauptung Annaburg sei eine „Ackerbürgerstadt“ – auch das ist ein völlig falsch verwendeter Begriff. Nur weil es in Annaburg zahlreiche bäuerliche Wirtschaften gab, rechtfertigt es ja nicht uns als „Ackerbürger-Stadt zu benennen. Schon weil wir vor 1939 keine Stadt waren. Wären wir eine „Stadt“ gewesen, wäre diese Bezeichnung schon richtig, denn ein maßgeblicher Anteil der Bevölkerung von Annaburg hat im Haupt- oder Nebengewerbe Landwirtschaft betrieben. Gewerbe oder Handel mit einem überregionalen Absatz gab es nicht. Das hier praktizierte Gewerbe war nach innen gerichtet und war auf die Bedürfnisse des Forst- und Wildmeisters sowie des Amtes ausgerichtet. Später dann auf die Bedürfnisse des Militär-Knabenerziehungsinstitut und der Forst.

 

BERND HOPKE
ORTSCHRONIST

AnnaOffice©2024-07-27

letzte Änderung: 08.11.2025

Quellen:


Erbbuch des Amt Annaburg 1550 – 1745 [Wernigerode] Akte D1, Nr. 1;
Gründler, E.: „Schloß Annaburg" Festschrift zur einhundertfünfzig-jährigen Jubelfeier des Militär-Knaben-Instituts zu Annaburg, Verlag von Oscar Haebringer, Berlin 1888;
Heintze, Otto: „Annaburg das Städtlein an der Heide" Geschichtlicher Rückblick, aus gebundene Beilagen der „Annaburger Zeitung" 1930;
Annaburg, Fremdenverein »Annaburger Heide« e.V., o. J;
Geschichtlicher Rückblick von Otto Heintze 1938, Privatbesitz;
Redslob, B „Familienchronik des Berhardt Redslob“, Annabg., Familienbesitz
Friedrich Uhlig, Schneidermeister der Stadt Annaburg und ehemaliger Institutszögling, Nachrichten von 17.Juni 1841, aus dem Kirchkopf der evangelischen Stadtkirche, Annaburger ev. Kirchenarchiv;
Matthäus Seutter; Ämterkarte - Amt Annaburg um 1700; Wikipedia unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Matth%C3%A4us_Seutter; Zugriff 04/2024;
Peter Schenk; Ämterkarte Amt Annaburg um 1700; Wikipedia unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Schenk_der_J%C3%BCngere; Zugriff 04/2024;
Gesuch der Gemeinden Annaburg und Purzien um unentgeldliche Überlassung von Damm- und Stegeholz nach dem Dammbruch der Schwarzen Elster bei Meuselko im Frühjahr 1731 und zum Ausbau der Post- und Landstraße 1572 – 1760 [Wernigerode] Akte D 1, Nr. 243
Gesuch der Kommune Annaburg um Erlaubnis zum Bau einer Ziegelbrennerei auf der Strickwiese 1573 - 1801 [Wernigerode]  Akte     D 1, Nr. 692;
Landrat Wisand; Schreiben an die königliche Regierung, Abt. für Kirchen- und Schulwesen in Merseburg vom 7.April 1916; Protokollbuch Nr. 1801;
Vordruck Geleitbrief ausgestellt am 27.02.1780 in Wittenberg; Privatbesitz;
Kursächsische Postmeilensäulen und Adam Friedrich Zürner; Verlag für Bauwesen 1988;
August Zürner; Landesaufnahme 1711 aus Atlas Augusteus Saxonicus (Exemplar A); Handzeichnung; Tabelle der Kreise und Ämter, 1711-1742;
Annaburger Heide – Hauptsituationsriss der Annaburger Heide, wie solche anno 1765 und 1766 nach Anweisung jedes Ortsforstbediensteten vermessen wurde; Kröhne, Johann Wigandt, Förster (Vermesser); Wentzel, Johann Georg (Zeichner) in Sächsischen Staatsarchiv, 12884 Karten und Risse, Nr.Schr 002, F 033b Nr 011;
Fleyer Stadt Annaburg, Verein für Heimatgeschichte und Denkmalpflege Annaburg e.V. (2001);