Soldaten-Knaben-Institut unter preußischer Zeit in Annaburg

Mit der Abtrennung eines Teiles der sächsischen Gebiete, als Folge der Befreiungskriege, werden auch Schloss und Institut am 6. Juni 1815 preußisch. Vorgesetzte Dienststelle ist jetzt das Preußische General-Gouvernement mit Sitz in Merseburg. 1923 erfolgte auch die Umbenennung des Institutes in „Militär-Knaben-Erziehungsinstitut“ (MKI).

Das MKI wird preußisch, die Ausrüstung bestand jetzt aus:

1 blauen Tuchjacke mit stehendem Kragen, Achselklappen und Aufschlägen aus rotem Tuch mit 2 Reihen gelber (Messing-)Knöpfe, 1 grautuchenen Pantalons, 1 weißleinenen Sonntagshose, 1 roten Weste, 1 blauen Mütze mit rotem Streifen, 1 Paar graue Handschuh, 2 grauen Leinenjacken mit Hose, 2 Paar Unterhosen, 2 schwarzen Halstüchern, 2 Hosenträgern, 2 Taschentüchern, 2 Hemden, 2 Paar neuen und 2 Paar gebrauchten Socken sowie 2 Paar Schuhen.

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Die Beschaffung der Verpflegung für die Angehörigen des Instituts war oftmals mit großen Schwierigkeiten verbunden.

Ein Beköstigungsplan aus dem Jahre 1822 legte dreimal wöchentlich Fleischrationen (pro Person 1,5 Pfund) und einmal Wurst fest. An Brot wurde täglich für jeden Knaben 1,5 Pfund, verteilt auf die Morgenmehlsuppe, das zweite Frühstück, Mittag, Vesper und Abendessen, ausgegeben. Vierzehnmal im Jahr, zu besonderen Feiertagen, konnte sich jeder auf ein Stückchen Braten freuen. Gründler schildert in seinem Buch zur Institutsgeschichte die häufige Sorge um das tägliche Brot.

Als wichtigste Neuerung im Institutsleben darf die im Jahre 1826 eingerichtete, aber bereits 1845 wieder aufgelöste „Handwerksschule“ und die 1822 erfolgte Bildung einer „Militärschule“ angesehen werden. Die „Handwerksschule“ des Institutes bildete vorwiegend Schuhmacher, Schneider, Schlosser und Schmiede aus. Die Werkstätten befanden sich zum Teil im Musikgebäude. Die Lehrzeit betrug 3 Jahre. Nach der Gesellenprüfung, etwa mit dem 17. Lebensjahr, wurden sie zur weiteren Verwendung an die „Handwerksschule“ des „Waisenhauses Potsdam“ überstellt.

Friedrich Fröbel machte bei seinen Vortragsreisen 1845 auch Station in Annaburg. Bei diesen Vorträgen wollte er seiner „Kindergartenidee“ selber den Durchbruch organisieren. In Annaburg war er von 26.11.- 18.12.1845 zu Gast bei Leonhard Woepcke der Schlossprediger und Schulinspektor am MKI war. Leonhard Woepcke war als „Geistlicher“ am Institut bei Abwesenheit des Direktors Leiter des Schul- und Unterrichtswesens, sowie verantwortlich für die Erziehung der jüngeren Zöglinge. Für die älteren Zöglinge war das Militär, der Offizier, zur damaligen Zeit Premier Lieutnant Aldendrop zuständig.

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Fröbel nutzte seinen Aufenthalt in Annaburg aber auch um selber Erfahrungen in der praktischen Lehrarbeit zu sammeln, denn am Militärknaben-Erziehungs-Institut waren zu dieser Zeit sehr fähige Lehrkräfte beschäftigt.

Er beschreibt das Institutsleben in einem seiner Briefe an Johannes Arnold Barop am 27.11./28.11.1845:

„Die Anstalt hier hat sehr viel Ansprechendes und für sich einnehmendes wenn auch die Gebaulichkeiten etwas im alterthümlichen Style mit vielen Thürmen nach Innen und Außen und vielen Thüren nach Innen so ist doch alles sehr geräumig und nun zweckmäßig benutzt. So z.B. große schöne, reinliche Höfe, besonders einer ins im Viereck von Gebäuden umschlossen in welchem sich die Arbeits- Lehr- und Schlafsaale befinden. E Außerhalb dieser Gebäude (liegen) schöne große Gärten und ein sehr großer freier Spielplatz, woran sich so gleich der gut erhaltene Turnplatz (an)schließt. An der Morgenseite dieses ganzen zieht sich das lange Gebäude für Musikunterricht hin, in dem, wie Du Dich vielleicht von Herrn Insp: W.'s Mittheilungen erinnerst hier sehr viel für Vor- und Ausbildung zur Militärmusik geschiehet so daß zum B. ohngefähr 50 Musikschüler von 400 u. eingen Gesammtschülern sind.

Es war zwischen 5 u 6 (Uhr) Zuerst giengen wir in den kleinen Arbeitssaal 80 (Personen) und einige Kinder waren hier versammelt und durch Stricken beschäftigt. Die Kinder mit heiteren frohen Gesichtern obgleich sie ganz ruhig und ohne Sprechen ihre Arbeit verrichten mußte[n]. Zu Zeiten in Pausen und mit einer Art von Beloh[nun]g für ihre Ruhe u Fleiß wird ihnen zu singen erlaubt; da singen sie dann aus kräftiger Kehle mit heiterm Jugendsinn Natur-, Lebens- Vaterlands- und Kriegslieder; so sangen sie auf meinen Wunsch eines der letzteren, den Abschied von der Heimath des in Krieg ziehenden Vaterlandsvertheidigers. In ganz einfacher Volksthümlicher Sprache u Melodie sprach sich eine gesunde kräftige Gesinnung aus und obgleich der Vortrag von 80 Kindern nur mit we[n]ig untermischten 2n Stimmen kräftig war, so war doch der Gesang sehr gehalten gleichmäßig mit gehaltenem Tackt und ohne alles Hervordrängen einzelner Stimmen. Diese Lieder pflanzen sich in der Anstalt meistens durch Überlieferung fort. Lieder wie "Was ist des Deutschen Vaterland pp" Lützows Jagd ward auch gesungen. Wie wir aus dem Saale getreten waren und über den Hof giengen schallte uns aus jenem noch ein melodisches kräftiges Lied nach.

Weil die Kinder nun durch vorhergehendes oder nachfolgendes, oder gar gleichzeitiges Geplauder nicht im Geist u Gemüth zertheilt werden, so prägten die Kinder im Gesang nun ihre ganze Seele aus - was ich sage es Dir einen sehr wohlthätigen Eindruck machte denn der Gesang hatte so nicht nur Tackt, Rhytmus u Melodie sondern auch Körper, Gestalt, Geist u Seele kurz den Ausdruck wahren Lebens, man erkannt[e] überall, das Kind lebt augenblicklich und ganz in dem was es singe, darum nirgen[d]s etwas Schleppendes pp. - Von hier aus gingen wir in den großen Arbeitssaal über 200 Kinder waren hier versammelt wieder beschäftigt mit Stricken, oder Stopfen der Strümpfe, oder Schneidern, manche auch die kleine Körperbeschädigungen oder Leiden hatten welche sie an diesen Arbeiten verhinderten spielten z.B. Dame, Schaf u Wolf pp.- An 2 größeren Tischen saßen die sogenannten Militärschüler d.h solche welchen durch ihr besonders gutes Betragen erlaubt wurde sich für die niederen Militär Chargen Unteroffizir, Feldwebel, Feuerwerker pp sich auszubilden. Diese durften nun nach eigener Wahl sich hier zu ihrer Fortbildung beschäftigen. Einige arbeiteten Geschichte, andere Mathematik andere Naturgeschichte rc. Ihr[e] Bücher waren außerordentlich saubergehalten und schön geschrieben, obgleich diese Arbeiten gar keiner Controlle unterlagen. Es fanden sich hier stämmige junge Leute bis zu 17 Jahren. Zufriedenheit, Heiterkeit, Gesundheit, Charakter lag auf dem Gesichte aller. Unbefangen frei u offen in Mittheilung u Antwort.

Mit Offenheit u Vertrauen traten mehre[re] z. d[em] He[.] Inspector und schlugen Lieder vor welche sie zu singen wünscht[en] wo denn unter auch ein Lieblingslied desselben - den Postillion - gesungen wurde.- Nun gieng es in das Musikhaus zu der unteren oder 2' Abtheilung. Hier war es wo sich wohl zwei auf gleichem Instrumente u bei gleichen Übungsstücken auf einem Zimmerchen üben durfte[n]. Allein denke dir sogar verschiedene Übungsstücke selbst mit verschiedenen Instrumenten mußten nicht nur in gleichen Zimmern, sondern an gleichem Pulte geübt werden, da kostet es aufmerken in Hinsicht auf Ton u Tackt und dennoch kamen mehrere gar nicht heraus. Ihre Aufmerksamkeit auf das ihnen Obliegende war so gespannt, daß der Nebenmann für sie gar nicht da war. Ja in einem größeren Übungssaale waren an 3-4 zerstreuten Pulten wieder Gruppen von 3, 4 u mehreren. Im Conservatior im [sc.: in] Paris soll es ebenso seyn. Der Lehrer - wir traten nun ins eigentliche Lehrzimmer - konnte das Ganze zwar nicht billigen indem die Gehör Ausbildung darunter leide, doch sagte er dass es wohl auch Gutes mit sich führe, das Schärfen des Ohres für Heraushören des Tones, das Festhalten des Taktes rc. In diesem Zimmer saßen an einem langen Tische vielleicht nahe 20 welche sich mit theoretischer Musik z[.]B. dem Studium von Webers Werke beschäftigten. Was mir der Lehrer über den Ges. Gang des Musik unterrichtes mittheilte so scheint darin s Sicherheit, Festigkeit u Gründlichkeit zu herrschen, welcher jedoch Anfangs mehr das Gedächtniß als die Einübung und Ausführung in Anspruch nimmt. Doch suchte er mir auch Beweise von den schnellen Fortschritten hinsichtlich der Ausführung zu geben. Die obengenannten Schüler welche sich mit Theorie beschäftigten waren seit 2 Jahr[e]n Musikschüler.

Eine Übung der Schüler bestand auch darin, daß während einer oder 2 auf dem gleichen Instrumente spielten, mußte ein 2er oder 3er das was jene spielten auf dem Notenblatte nachlesen und so Auge u Gehör bilden. Eine andere Übung b war die, daß vorgerücktere Schüler die Übungen mehr untergeordneter beaufsichtigten.- Heut Morgen oder in den nächsten Tagen werde ich die Schüler der 1n Musikclasse besuchen.

Nun ging es in den Eßsaal. Die Brote sind so gebacken dass jedes durch 4, sich in der Mitte kreuzende Schnitte; in 8 Theile getheilt wird . Jedes der mittleren Kinder bekommt 4 mal in der Woche Abends ein solches Stück Brot mit einer kleinen Scheibe Butter 4 Scheiben derselben lagen auf einem Teller, daneben die 4 Stücke Brot u 2 Becher mit Wasser. Die größern Knaben welche confirmirt bekommen doppelte Portionen.- Als alle Kinder versammelt waren gab der Saal Aufseher des Tages [(]ein Lehrer[)] ein Zeichen zum Gebet einer der größeren Zöglinge trat an die oberen Seite des Saales in die Mitte des Ganges, und sprach ein kurzes Gebet; er sprach es mit solchem bestimmten Ausdruck innerer Selbstsammlung, daß man nach Beendig[un]g desselben an dem Betragen der Kinder wahrnehmen konnte, auch sie waren mit Herz u Sinn dabei gegenwärtig gewesen.

Jetzt durfte freie Unterhaltung statt finden, und man hörte es daß sie ungehemmt war, doch traten keine Stimmen hervordrängend heraus, es war das frohe Gesumme der Bienen. Nach Beendigung des Abendbrotes wurde ebenso wieder ein Gebet gesprochen; alle verließen nun des den Eßsaal wo über 400 aßen und giengen da es schön u sternenhell war meistens in den unmittelbar vorliegenden S Hof, doch war es ihnen auch gestattet in die früher genannten Arbeitssaale zu gehen, bis die Tische ab[g]eräumt und gereinigt waren. Hierauf kehrten alle in diesen Saal zurück um sich ganz frei zu beschäftigen wie jeden das Bedürfniß trieb einige nahmen Arbeiten f vor; andere wandelten Arm in Arm in Wechselgespräch; in anderen Gruppen wurde erzählt; wieder andere spielten Brettspiele, andere rangen u maßen ihre Kraft ander[e] wiede[r] schliefen auch wohl bald ein. Der obengedachte Lehrer wandelte waltend unter ihnen [um] hervorbrechen persönlicher Leidenschaftlichkeit rc zu vermeiden. Wir betrachtetend [sc.: betrachteten] besonders das frohe Empor- u. hervorblühen der reinen und geklärten Persönlichkeit, der mehrgenannte Lehrer Herr Thieming bemerkte, daß sich die hiesige Anstalt ganz wesentlich von anderen der Art z.B. dem Potsdamer Waisenhause auszeichne, wo alles die Potsdamer-Waisenhaus-Physiognomie trage.

Als wir zurück giengen meinte Herr Insp: Wöpke der Grund liege wohl mit darin, daß sich schon die tägliche Leitung in den verschiedenen Arbeiten und Beaufsichtigung unter mehrere und selbst Personen verschiedener Erfahrung und Bildung theile, welches der Entwickelu[n]g der Persönlichkeit günstig sey.“

ps_20161023211614Die „Militärschule“, aus ihr ging 1880 die „Unteroffiziersvorschule“ hervor, war als Ausbildungsstätte für diejenigen Knaben gedacht, die befähigt und gewillt waren, eine militärische Laufbahn einzuschlagen. Nach dem Abschluss ihrer Ausbildung wurden sie direkt vom Heer übernommen. Die Unterbringung dieser „Elite“ erfolgte zunächst in Räumen des Hinterschlosses, getrennt von den übrigen Institutsangehörigen. Erst im Jahre 1881 konnte das zwischen heutiger „Schloss -“ und „Torgauer Straße“ gelegene Kasernengebäude bezogen werden. Als Wohngebäude, vor allem für die Lehrer gedacht, entsteht im September 1883 das heutige „Postamt„. Elf Jahre zuvor war die heute noch genutzte am Schulhof gelegene Turnhalle gebaut worden. Nachdem sowohl das „Militär-Knaben-Erziehungs-Institut“ als auch die „Unteroffiziersvorschule“ bereits im Jahre 1920 aufgrund des „Versailler Vertrages“ entmilitarisiert werden mussten, erfolgt ihre endgültige Auflösung im Jahr darauf.

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Bernd Hopke
Ortschronist

AnnaOffice©2020-12-29

Quelle

  • Thomas Finke, Konzept zur Ausstellung MKI, Annaburg 2008
  • Gründler, E.: „Schloß Annaburg“ Festschrift zur einhundertfünfzig-jährigen Jubelfeier des Militär-Knaben-Instituts zu Annaburg, Verlag von Oscar Haebringer, Berlin 1888
  • Briefausgabe Friedrich Fröbel – Scripta Paedagogica Online – Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung; F. (Annaburg) an J.A. Barop v. 27./28.11.1845 www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1845-12-16-01.html Zugriff 06/2008

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