Kindergartengeschichte

Friedrich Fröbel und der Bürgerkindergarten in Annaburg


 

Friedrich Fröbel

Friedrich Wilhelm August Fröbel geboren am 21. April 1782 in Oberweißbach/Thür. Wald war ein deutscher Pädagoge (Schüler Pestalozzis), auf den die heutige Bezeichnung Kindergarten für Einrichtungen zur Kinderbetreuung zurückgeht.

ps_20161017195721Während seines Dienstes im Lützowschen Freikorps (Befreiungskriege gegen Napoleon) schloss Fröbel Freundschaft mit Wilhelm Middendorf und Heinrich Langethal. Sie gründeten 1840 den ersten deutschen Kindergarten“ als Kinderbewahranstalt in Bad Blankenburg (Thüringer Wald). Sie waren seine treuesten Mitarbeiter als es daran ging, seine Erziehungsideen in Keilhau bei Rudolstadt in die Praxis umzusetzen. Er führte die „Freiarbeit“ in die Pädagogik ein. Die von ihm entwickelten Spiel- und Lernmaterialien sind auch heute noch anerkannt. Ins Zentrum seiner Pädagogik stellte er das Spiel als typisch kindliche Lebensform und seinen Bildungswert. Die von ihm entwickelten Spielgaben und Beschäftigungsmittel entstanden auf der Grundlage seiner Spieltheorie. Mit seinen Mutter- und Koseliedern beabsichtigte Fröbel, das kleine Kind in die Lebenswelt der Erwachsenen einzuführen.

ps_20161017195825Seiner Kindergartenidee“ hatte er selber den Durchbruch organisieren müssen. Dazu fuhr er zu Vortragsreisen ab 1844 durch Deutschland. Neben Darmstadt und Dresden, wo im Anschluss seiner Reise Kinderbewahranstalten ins Leben gerufen wurde, war 1845 eine seiner Station Annaburg. Hier war er von 26.11.- 18.12.1845 zu Gast bei Leonhard Woepcke der Schlossprediger und Schulinspektor am Militärknaben-Erziehungs-Institut (MKI) war.

Leonhard Woepcke war als „Geistlicher“ am Institut bei Abwesenheit des Direktors Leiter des Schul- und Unterrichtswesens, sowie verantwortlich für die Erziehung der jüngeren Zöglinge. Für die älteren Zöglinge war das Militär, der Offizier, zur damaligen Zeit Premier Lieutnant Aldendrop zuständig.

ps_20161017202431Fröbel nutzte seinen Aufenthalt in Annaburg um selber Erfahrungen in der praktischen Lehrarbeit zu sammeln, denn am Militärknaben-Erziehungs-Institut waren zu dieser Zeit sehr fähige Lehrkräfte beschäftigt. Lehrer Thieming bemerkte dazu:

„daß sich die hiesige Anstalt ganz wesentlich von anderen der Art z.B. dem Potsdamer Waisenhause auszeichne, wo alles die Potsdamer-Waisenhaus-Physiognomie trage. … der Grund liege wohl mit darin, daß (hier die Lehrkräfte aus) Personen verschiedener Erfahrung und Bildung (zusammensetzten), welches der Entwickelu[n]g der Persönlichkeit günstig sey.“

Der Direktor des Militärknaben-Erziehungs-Institut weilte zu dieser Zeit in Berlin, wo er als Erzieher des einst künftigen Thronfolgers berufen wurde. Vertreten wurde er durch den

„inter[i]mistischen Director der Anstalt dem Herrn Premier Lieutnant Aldendorp“.

So verfolgte er mit regem Interesse die Ausbildung an der Musikschule, genauso wie den Sportunterricht durch den Turnlehrer (Oberlehrer) Siegel.

ps_20161111181354Aber er erweckte auch Dank der Vermittlung von Leonhard Woepcke beim evangelischen Ortspfarrer Dr. Seyler Interesse für seine „Kindergartenidee“. So erhielt er am Sonntag den 14.12.1845 frühmorgens in der Ortskirche.

„Mittheilung des Dr Seyler an heiliger Stätte über die in Annaburg zu errichtende Kinderpflegeanstalt.“ „Sonntagsabends als ich eben mit Einordnen beschäftigt war kam Herr Dr. Seyler mit einem Orts- und Kirchenvorstande Herrn Lichtenberg (dem Schwiegervater des Apotheker Violett) mir im Auftrag der hiesigen Bürgergesellschaft anzeigend, daß man sich entschlossen habe Frl. Anna Hesse von hier zum Neujahr Cursus zu mir nach Keilhau zu schicken um sie zur Führerin des … angebahnten Kindergartens ausbilden zu lassen“

Anna Hesse war 1829 in Annaburg im Schlossbezirk geboren. Ihr Vater war der Schlossermeister und Büchsenmacher Hesse der an der Handwerksschule des MKI lehrte und 1845 sein Gewerbe in Annaburg einstellen musste, da die Handwerkerschule beim MKI aufgelöst wurde. Vermutlich versuchte er danach eine Existenz in Torgau aufzubauen. Anna Hesse ist vermutlich auf Initiative des Institutspfarrer Woepcke für diese Stelle vorgeschlagen worden, um der Familie Hesse damit zu helfen.

„Anna Hesse - eine meiner ältesten, d.h. frühesten Kindergärtnerinnen vom Jahr 1845/46 und zugleich eine meiner erfahrendsten, denn sie wurde unmittelbar nach Beendigung des Cursus 1846 sogleich Kindergärtnerin in Annaburg bei Torgau“

schrieb später (16.5.1850) einmal Fröbel an Bertha von Marenholtz-Bülow nach Berlin. Sie begann den Kindergärtnerinnenkurs in Keilhau gleich nach Neujahr 1846 und schloss die Ausbildung im Juli 1846 ab. Ab August leitete sie den 1. Bürgerkindergarten in Annaburg mit ca. 30 Kindern aus begüterten Verhältnissen. Als Örtlichkeit diente vermutlich das ehemalige Schulgebäude links neben dem Pfarrhaus. In diesem Bürgerkindergarten ging es auch nicht um die Ganztagsbetreuung für arbeitende Eltern, sondern in erster Linie um die Vermittlung kindgerechter Bildungsinhalte. Durch Spielen lernen, dass war der Hauptzweck dieser Einrichtung.

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Schulgebäude und Pfarrhaus am Markt

Pfarrhaus (rechts) und das Schulgebäude (links) am Annaburger Markt

Mit dem Schlossprediger und Schulinspektor am MKI Leonhard Woepcke verband Friedrich Fröbel eine langjährige Freundschaft aus der ein reger Briefwechsel erwuchs. Noch einmal 1846 verweilte Friedrich Fröbel auf seiner „Sommerreise(Juli-Aug.46) kurzzeitig in Annaburg. Auf Anregung von Leonard Woepcke nannte er ab 1846 seine Kinderverwahranstalten dann auch „Kindergarten“.

Er schrieb deswegen an Woepcke am 5.9.46

„Was Sie mir selbst über die bestimmte und bleibende Annahme des Namens "Kindergarten" schreiben, freut mich; denn immer mehr muß ich die Erfahrung machen, daß der Name nicht gleichgültig ist, auch dieser. Das Wort ist die Hülle eines geistig Wirkenden, weil, wo man - auch bei scheinbarem Eingehen in die Sache und selbst Anwendung derselben bei uns - an dem Namen "Bewahranstalt" festhält, da macht auch immer die Ausführung mehr und schwerer zu beseitigende Hindernisse.“

In seinen Briefen erkundigt er sich immer wieder nach Anna Hesse und dem Kindergarten in Annaburg, so am 23.9.1846:

“Besonders glaube ich Ihrer warmen Theilnahme dies mitzutheilen schuldig zu sein, da ich weiß, welchen allseitig förderlichen Gebrauch Sie davon machen; und so bin ich überzeugt, daß Sie es gelegentlich gütig sowohl zur Kunde der Frl. Anna H. [Hesse] zu ihrer Erhebung und Stärkung, als auch zur Kunde des die Sache pflegenden Vereins in N. [Annaburg] bringen werden, um auch diesen zur Festhaltung seines Zieles zu einigen und zu kräftigen, denn man gibt doch nicht gern eine Sache auf, wenn solche auch sonst noch von Denkenden und Erfahrenen mehrseitig gepflegt wird.“

Anna Hesse leitete den Annaburger Bürgerkindergarten bis 1850. Schon 1849 hat Friedrich Fröbel Anna Hesse ersucht die Leitung eines Bürgerkindergarten in Hamburg zu übernehmen.  Jetzt, nach der Hochzeit ihrer zweitältesten Schwester und der Möglichkeit ihrer jüngeren Schwester die Leitung des Annaburger Kindergarten zu übertragen, folgte sie dem Ruf Friedrich Fröbel und übernahm im März 1850 in Hamburg den 1. Bürgerkindergarten der Stadt. Sie übte diesen Beruf über 5 Jahre in Hamburg aus, heiratete dann den preußischen Artillerieoffizier und Mediziner Herrn Doenau und wanderte mit ihm 1856 nach Australien aus. Aus dieser Verbindung gingen dort 9 Kinder hervor, wovon allerdings nur 6 ihrer Kinder sie auch überlebten. Anne Doenau geborene Hesse starb 1912 in Adelaide in Australien.

ps_20161113143335Der Bürgerkindergarten in Annaburg bestand aber nur bis Anfang 1851 und wurde nach Weggang von Frl. Hesse durch ihre jüngere Schwester bis zu seiner Schließung geleitet. Am 07.08.1851 erfolgt in Preußen das Ministeriale Verbot aller Kindergärten. Davon war natürlich auch der 1. Bürgerkindergarten hier in Annaburg betroffen.

In der freien Hansestadt Hamburg entstanden dagegen bis zur Auswanderung von Anna und ihrem Mann 1856 sechs weitere neue Kindergärten mit je 100 Kindern.  

Vermutlich wurde der Annaburger Kindergarten im Zuge des „vorauseilendem Gehorsams“ bereits vorher geschlossen, denn das generelle Verbot bahnte sich mit einer Untersagung der Gründung eines Kindergartens nach Fröbelschen Grundsätzen schon am 27. Mai 1851 in Nordhausen an. Das ging einher mit einer Verunglimpfung seines Werkes als „das fröbelsche sozialistische System“. Demzufolge brach auch der langjährige Briefkontakt zum Schlossprediger und Schulinspektor am MKI Leonhard Woepcke bereits 1850 ab.

So beschwert sich Fröbel bei ihm am 9.6.1850:

“Mein theurer Freund! Sagen Sie, wie kommt es, daß ich nach mehrfach wiederkehrender brieflicher Einkehr von meiner Seite bei Ihnen noch mit keiner Erwiederung von Ihnen erfreut worden bin?- Sind Sie unzufrieden mit mir?“

Am 4.9.1851 seinen letzten Brief an Woepcke klingt es schon ziemlich resigniert,

“ Freilich kann ich es Ihnen auch nicht verdenken, wenn Sie gerade jetzt einen vom Königl. Preuß. Ministerium der geistlichen und Unterrichtsangelegenheit gleichsam Geächteten nicht gern besuchen wollen; nun dann bis zu unbefangeneren Zeiten, vielleicht im künftigen Jahre.“

Künftige Jahre waren Friedrich Fröbel nicht mehr beschienen, er starb am 21. Juni 1852 in Marienthal. Das preußische Kindergartenverbot wird erst 1861 aufgehoben. Fröbels Werk wurde dennoch von seinen Schülerinnen fortgeführt.

Leonard Woepcke machte Karriere und wurde später Konsistorial-, Regierungs- und Schulrat in Magdeburg. In dieser Funktion wurde er vom Kultusminister Dr. Falk zur Inspektion 1874 in das Militär-Knaben-Erziehungsinstitut nach Annaburg entsandt. In seinem Auswertebericht setzte er sich u.a. für eine höhere Ausstattung mit Anschauungs- und Unterrichtsmittel ein.

Aber er bestimmte auch mit seinem Bericht maßgeblich die Ausbildung und vor allem den Bildungsumfang für die folgenden 25 Jahre. Ab 1875 umfasste die Institutsschule die vier oberen Stufen der Volksschule, damit wurden die Zöglinge in erster Linie auf ein bürgerliches Leben schulisch vorbereitet.

Einzig der Pfarrer Dr. Seyler hielt auch weiterhin an der „Kindergartenidee“ für die Annaburger Gemeinde fest. So begründete er mit seiner Kinderlosen Schwester 1849 die Seylerstiftung, dessen zweiter Stiftungsgrund die „Errichtung einer Kinderbewahranstalt oder wie auch immer sie dann heißen mag für alle Stände“. Leider ließ sich dieser Stiftungszweck nicht so schnell umsetzen, sodass erst im Mai 1914 das Curatorium der Stiftung den Beschluss fasste diesen Stiftungszweck nun in den Mittelpunkt zu rücken. Allein die Inflation nach dem verlorenen Krieg vernichtete das Stiftungsvermögen. So konnte dieses Stiftungsziel nicht erreicht werden. Ein Kindergarten entstand in der Zeit der Weimarer Republik in Annaburg dann trotzdem. Diesmal nicht als Bürgerkindergarten, sondern weil die Arbeitskräftesituation in der Annaburger Steingutfabrik nur durch eine „Spielschule(Kindergarten) gelöst werden konnte. Das Unternehmen war dazu gezwungen, weil die zumeist weiblichen Arbeitskräfte nach dem 1 Kind in der Fabrik aufhörten mussten, um Kinderbetreuung sicherzustellen. Damit gingen dem Werk gerade die gut ausgebildeten Kräfte verloren. Um den Müttern das Weiterarbeiten im Werk zu ermöglichen, wurde durch die Steingutfabrik die „Spielschule“ eröffnet.

 

Bernd Hopke
Ortschronist

AnnaOffice©2024-01-07

 

Quellen

    • Johanna Hoffmann, „Spiele fürs Leben“- Greifenverlag zu Rudolfstadt 1974;
    • Margit Naumann „Flieg, Käfer flieg…, Nachkriegskindheitserinnerung aus Annaburg, Bücherkammer Herzberg;
    • Briefe an Friedrich Froebel von Anna Hesse „Mein Lieber Herr Froebel! Briefe an der Kinder und Menschenfreund“, Berlin (DDR): Verlag Volk und Wissen, 1990;
    • Wikipedia, der freien Enzyklopädie www.de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Fröbel Zugriff 05/2008;
    • Briefausgabe Friedrich Fröbel – Scripta Paedagogica Online – Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung;
    • F. an Woepcke v. 29.8.1845 www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1845-11-27-01.html Zugriff 06/2008;
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    • F. (Annaburg) an J.A. Barop v. 16.12.1845; www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1845-12-16-01.html Zugriff 06/2008;
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    • F. an >Anwender der Fröbelschen Pädagogik< (Rundschreiben) v. 7.7.1848 www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1848-07-07-02.html Zugriff 06/2008;
    • F. an v. Marenholtz-Bülow v. 16.5.1850 (Marienthal) www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1850-05-16-01.html Zugriff 06/2008;
    • F. an Woepcke v. 9.6.1850 www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1850-06-09-01.html Zugriff 06/2008;
    • F. an Woepcke v. 4.9.1851 www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1851-09-04-01.html Zugriff 06/2008;
    • F. an E. Bercht v. 30.4./1.5.1851 www.bbf.dipf.de/editionen/froebel/fb1851-04-30-01.html Zugriff 06/2008;
    • Heinrich Dorbritz, Militär-Knaben-Erziehungs-Institut zu Annaburg; Berlin 1857;
    •          Home Newspapers&Gazettes Adelaide 1905 Page 6; „Kindergarten fifty years AGO“;      
    • Unterlagen der Seylerstiftung aus Annaburg vom 04.07.1849 bis 30.05.1914, abschriftlich von Eberhard Förster Annaburg um 2000, Privatarchiv;